Nach Familientat in Gröbenzell:"Eine Trennung muss bewältigt werden"

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Drei Tage nachdem ein 18-Jähriger den Lebensgefährten seiner Mutter erstochen hat: Psychologe Reinhold Martlreiter bietet Scheidungskindern und Eltern frühzeitige Hilfe an.

Stefan Salger

Warum ein 18-Jähriger am Sonntag den Lebensgefährten seiner Mutter erstochen hat, ist weiterhin unklar. Angeblich hatte er wiederholt Streit mit dem 48-Jährigen und zog sich immer mehr zurück. Der Vater vermutet, dass er die Trennung nicht verwunden hat. Die SZ sprach mit dem Psychologen Reinhold Martlreiter von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche darüber, wie man der Eskalation von Familienkonflikten vorbeugen kann.

Sie betreuen regelmäßig Trennungsfamilien. Gibt es Signale, die darauf hindeuten, dass ein Jugendlicher ausrasten könnte?

Manchmal weisen in der Tat Veränderungen im Verhalten auf Probleme hin. Dann etwa, wenn sich Jugendliche stark zurückziehen, wenn sie sich verschließen und gereizt oder im besonderen Maße unzufrieden oder unausgeglichen sind. Engen Familienangehörigen fallen solche Veränderungen auf, sie kennen sich ja sehr genau.

Wie sollte man darauf reagieren?

Man sollte das Gespräch suchen, den Betroffenen also ansprechen. Von Trennung oder Scheidung ist aber nicht nur ein Jugendlicher betroffen, sondern die ganze Familie. Alle sollten sich zusammensetzen. Ein Gespräch wirkt deeskalierend. Wenn dies nicht gelingt, ist es hilfreich, sich Unterstützung durch professionelle Beratung zu suchen.

Der getrennt lebende Vater hat seine Söhne angeblich erfolglos zu einer Therapie bewegen wollen. Scheuen sich Jugendliche, solche Hilfsangebote wahrzunehmen-empfinden sie es möglicherweise als stigmatisierend?

Die Gefahr besteht durchaus. Dass Elternteile Jugendliche zu einer Therapie ermutigen, ist zunächst eine gute Sache. Wenn diese allerdings den Begriff Therapie hören, dann werten sie das unter Umständen so, dass ihnen andere sagen wollen, mit ihnen stimme etwas nicht. Bei einer Trennung handelt es sich aber um eine Krise, die bewältigt werden muss. Da gibt es viele Baustellen auf einmal. Und die Verarbeitung braucht ihre Zeit.

Wie erreicht man die Jugendlichen?

Wir laden zunächst die ganze Familie zu einem ersten Gespräch ein-in der neuen Konstellation oder auch, sofern das möglich ist, mit den getrennt lebenden früheren Partnern. Dann können Probleme gemeinsam besprochen und weitere Hilfsmöglichkeiten überlegt werden. Schließlich ist es für Kinder am besten, wenn Eltern auch nach der Trennung weiterhin als Eltern verantwortlich bleiben.

Wie wichtig ist eine Betreuung der Mutter und vor allem der beiden weiteren minderjährigen Brüder?

Sehr wichtig. Diese Aufgabe übernimmt kurz nach solchen traumatischen Erlebnissen das Kriseninterventionsteam. Dabei geht es um seelische erste Hilfe. Bei manchen Betroffenen kann zunächst eine Art Starre eintreten, sie wollen sich abschotten von der Außenwelt. Es ist aber wichtig, dass ihnen deutlich gemacht wird, dass sie auch später Hilfsangebote wahrnehmen können. Denn sie müssen mit der neuen Situation und dem Erlebten leben lernen.

Welche Angebote der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche gibt es in diesem Bereich?

Die Stellen in Bruck, Germering und Gröbenzell unter Trägerschaft von Diakonie und Caritas kümmern sich um alle Probleme rund um die Familie. Fast die Hälfte der Fälle sind Probleme rund um bevorstehende oder auch vollzogene Trennungen und Scheidungen. Eine Rolle spielen auch Ängste wegen Arbeitslosigkeit oder Verschuldung sowie bei Kindern der schulische Leistungsdruck. Häufig geht es auch um massive Spannungen zwischen Eltern und Jugendlichen. Bei Bedarf vermitteln wir an andere Fachstellen weiter. Zu uns kann jeder kommen, mit oder ohne Konfession. Die Beratung ist freiwillig und kostenfrei.

Im März beginnt erneut eine Gruppe für Trennungs- und Scheidungskinder. Wer kann daran teilnehmen?

Die Gruppe ist auf die Bedürfnisse von Acht- bis Zwölfjährigen, die die Trennung ihrer Eltern erlebt haben, zugeschnitten. Zehn bis zwölf Termine, jeweils einmal pro Woche, sind geplant. Begleitend wird eine Elterngruppe eingerichtet. Informieren kann man sich bei uns unter Telefon 08141/505960.

Können Jugendliche sich auch ohne Wissen der Eltern an Sie wenden?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben immer eine offene Tür. Und wir stehen unter Schweigepflicht.

Wie viele Beratungen gab es im vergangenen Jahr?

Wir haben mehr als tausend Familien betreut. Die Häufigkeit der Beratungen richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Der kann von einer bis zu mehr als 20 Sitzungen reichen.

Interview: Stefan Salger

© SZ vom 13.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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