Moorenweis:Mit 70 Kilometern pro Stunde heimwärts

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Warum Vögel über weite Strecken ihren Schlag finden, ist ungeklärt. Experten vermuten, dass sie sich bei ihren Rückflügen vom Erdmagnetfeld leiten lassen

Von Stefan Salger, Moorenweis

Gab es 1960 bundesweit noch 100 000 Brieftaubenzüchter, so dürfte es heute kaum noch die Hälfte sein. Dachorganisation ist der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter mit Sitz in Essen. Dort gibt es auch eine weltweit bekannte Taubenklinik mit modernen Röntgen-, Ultraschall- und Laborgeräten. Im Landkreis Fürstenfeldbruck gibt es noch eine Handvoll Brieftaubenklubs, die sich für Wettkämpfe und zur Finanzierung der Transportlastwagen zu Reisevereinigungen zusammengeschlossen haben.

Die Saison für erwachsene Tiere dauert von Mai bis Ende Juli, danach beginnt das Training der Jungvögel. Jedes Wochenende werden Tiere vom Heimatschlag zum 100 bis 600 Kilometer entfernten "Auflassort" transportiert (Jungvögel: 50 bis 300 Kilometer) und dort meistens frühmorgens am nächsten Tag unter Aufsicht eines Flugleiters gleichzeitig frei gelassen. Die Auflassorte sind im Videotext (Tafel 966) aufgelistet. Mit Hilfe des chip-bestückten Fußrings sowie mobilen Erfassungsgeräten lässt sich dann ermitteln, welche Taube die Distanz am schnellsten überwunden hat. In der Regel fliegen die Tiere etwa 70 Kilometer pro Stunde und werden vor ihrem Heimatschlag schon sehnsüchtig von ihren Besitzern erwartet. Das erste Drittel der Heimkehrer bekommt Preise. Weshalb Brieftauben so genau zurückfinden, ist wissenschaftlich nicht geklärt. Experten vermuten, dass sie sich vom Magnetfeld der Erde leiten lassen.

Für die Zucht werden die erfolgreichsten Brieftauben im Februar, nach dem Winterschlaf, verpaart. Nach zehn Tagen legen sie Eier, nach 18 Tagen schlüpfen die Küken, nach 25 Tagen fressen diese bereits selbständig, danach wachsen sie, nach Geschlecht getrennt, in einem separaten Taubenschlag heran. Sie leben in der Regel ein Leben lang mit dem selben Partner. Vor Wettkämpfen werden Tauben oft von diesem getrennt (Witwenschaft) oder auch vom Gelege, wodurch die Motivation für einen schnellen Heimflug steigt. Als erfolgreichste Züchter gelten die Jansen-Brüder aus Belgien, die längst Millionäre sind. Der 1999 verstorbene Musiker Ernst Mosch soll für eine dieser Tauben 50 000, ein Scheich sogar 150 000 Euro gezahlt haben. Züchter wie Peter Sigl aus Moorenweis tauschen lieber mit Bekannten und zahlen kaum mehr als 150 Euro für ein Tier, verwenden handelsübliches Futter und geben bestenfalls etwas Elektrolyt ins Wasser, wenn Tauben einen kräftezehrenden Weg hinter sich haben. Brieftauben werden etwa 15 Jahre alt, meist nehmen sie nur bis zum Alter von etwa sechs Jahren an Wettbewerben teil.

Längst an Bedeutung verloren hat die Nachrichtenübermittlung durch die geflügelten Botschafter. Gerade in Kriegszeiten waren Brieftauben aber früher die einzige Möglichkeit, über feindliche Stellungen hinweg Briefe zu transportieren. Diese wurden an den Beinen befestigt. Auf diese Weise wurde auch die Nachricht vom Sieg in der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 an die britische Regierung übermittelt. Reuters begann seinen Pressedienst mit Brieftauben. Und auf Kurzstrecken wurden Brieftauben in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs eingesetzt. Die Schweizer Armee richtete 1917 einen Brieftaubendienst ein, der 1996 endgültig aufgelöst wurde - als die 30 000 Tauben der neu gegründeten Schweizerischen Brieftaubenstiftung übergeben worden waren.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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