MITTEN IN GRÖBENZELL:Trollkultur in Reinform

Lesezeit: 1 min

Von christian lamp

Um was geht es? Es geht um die berechtigte Aufregung der Gröbenzeller SPD darüber, dass Wahlplakate des Bundestagskandidaten Michael Schrodi verunstaltet werden und die Konsequenz daraus, dies als Sachbeschädigung anzuzeigen. Diese schlichte Nachricht auf Facebook offenbart indes einmal mehr die Mechanismen der Diskursform der sozialen Medien: die Kommentarspalte füllt sich hauptsächlich als Kommunikationsverweigerung.

Gleich die ersten Kommentare stehen exemplarisch für das, was ein weiterer treffend als "whataboutism" bezeichnet: "Wo kann man eigentlich Anzeige erstatten gegen die Lügen auf den Plakaten?" Und: "Aber dass die Plakate der AFD ständig abgerissen werden ist natürlich keinen Bericht Wert?" (sic) Trollkultur in Reinform. Aber was ist mit . . .? Rhetorische Fragen und Ellipsen überlagern den eigentlichen Sachverhalt durch angeblich kritisches Grübeln oder Gegenbehauptungen diffamieren ihn. Diese Diskursform arbeitet mit dem unreflektierten Affekt, scrollen statt denken. Die beiden zitierten Kommentare haben auch nach wie vor mit die meisten Likes.

Interessanter ist der Reaktionsmechanismus bei Kritik. Da ist das Abdriften in gegenseitige Beleidigung, die zumeist von dem Ironie signalisierenden Zwinker-Smiley begleitet wird. Das Gegenüber wird als unzurechnungsfähig abgestempelt. Logisches Ende ist die mehrfache Verwendung des tränen-lachenden Emoticons. Das ist ebenso eine Verweigerung der Kommunikation wie umgekehrt das resignative Abwinken des Kommentators, der schreibt: "Mit so einigen kannst du nicht diskutieren." Aber es gibt auch die Idealisten, die in korrekter Orthografie und Grammatik den Diskurs wieder auf eine sachliche und zivile Ebene holen möchten.

Darauf reagieren Trolle auf zwei Arten. Entweder die Satzzeichen häufen sich, bis das Blut kocht, und jeder Satz, der nur eine weitere rhetorische Frage oder Behauptung ist, durch "????" und "!!!!" seine Wahrheit erweisen soll. Oder die Kommentare werden länger und durchdachter, der Troll möchte tatsächlich ernst genommen werden. Dann wäre sachliche Argumentation wieder möglich. Aber auch so hat der Troll bereits einen Erfolg erzielt: Die Grenzen des Diskurses haben sich verschoben. Die Argumentation muss sich immer zuerst in seine Höhle wagen, und die ist voller Fallen.

© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: