Mitten in Gröbenzell:Selbsterkenntnis mit Humor

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Gemeinderatssitzungen können sich ziehen, oder auch mal in nur sieben Minuten vorbei sein

Von Ariane Lindenbach

Dass der exzessive Gebrauch digitaler Medien die Ich-Bezogenheit fördert, ist unter Experten unumstritten. Schon seit Jahrzehnten gibt der US-amerikanische Konzern Apple, ein Weltmarktführer der mobilen Kommunikation, mit der Namensgebung seiner Geräte einen - ja, was eigentlich? Wink mit dem Zaunpfahl ist da fast ein bisschen schüchtern ausgedrückt: Ipod, Iphone und Ipad brüllen dem Konsumenten ja schon entgegen, um was es geht, nämlich um das eigene Ich - und die Namen der Geräte scheinen diese Entwicklung zu befördern, dass das eigene Ego zunehmend zum Zentrum des eigenen Universums wird.

Die Erfindung des Selfiesticks markiert in diesem Zusammenhang einen gewissen vorläufigen Höhepunkt. Dank des Stangerls können sich die User jetzt viel leichter selbst fotografieren und ihr Image noch müheloser aufpolieren. In den sogenannten sozialen Medien posten sie zu Selbstvermarktungszwecken ihre schönsten Aufnahmen. Wie wichtig der Schein inzwischen für uns ist, illustriert ein Werbespot, in dem eine junge Frau mitten in der Nacht aufsteht, ein umfassendes mehrstündiges Beautyprogramm absolviert, um dann frühmorgens ein Foto von sich zu posten, das sie just beim Aufwachen zeigt.

Die Außenwirkung scheint also zunehmend wichtig in unsrer Gesellschaft. Aber wohin führt diese Entwicklung? Zumal wenn man bedenkt, dass in der Psychologie das Phänomen der Diskrepanz zwischen Außenwirkung und Selbsteinschätzung schon lange - viel länger als der erste Ipod und das erste Selfie - bekannt ist. Es besagt, dass sich jede Person selbst anders sieht, als es die anderen tun. Der Grad der Abweichung ist abhängig von der eigenen psychischen Reife. Aus dieser Tatsache ist vermutlich auch das Sprichwort entstanden, "Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung". Aber was, wenn sich alle nur noch auf die Außenwirkung konzentrieren?

Dass es auch anders geht, demonstrieren die Gemeinderäte in Gröbenzell, die ja nicht gerade dafür bekannt sind, in den sozialen Medien oder anderen digitalen Kanälen übermäßig nach außen wirken zu wollen. Unter den Kommunalpolitikern ist es schon zum Running Gag geworden, die eigene Diskussionsfreudigkeit, die zu unnachahmlich langen Sitzungen führen kann, zu thematisieren. (Unter Kollegen sind die ausführlichen Runden berühmt-berüchtigt.) Aber wie reagieren die Gröbenzeller im Sommerloch? Wenn der Ferienausschuss neben Formalien nur einen einzigen Tagesordnungspunkt behandelt? Martin Schäfer glänzte jüngst mit Selbsterkenntnis: "Eine der kürzesten Sitzungen mit sieben Minuten", betonte der Bürgermeister. Und ergänzte voller Humor: "Ich habe noch ein bisschen versucht, das zu strecken, indem ich die Beschlussvorlage vorgelesen habe." Wo der Gröbenzeller Rathauschef diese Fähigkeiten erworben hat, ist nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass er kein Handy hat.

© SZ vom 21.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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