Mitten in Eichenau:Sitzung mit zwei Geschwindkeiten

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Vor dem letzten Tagesordnungspunkt "Verschiedenes“: Die Flamme der Adventskerze wird gleich verlöschen. (Foto: oh)

Wie sich auch in der Adventszeit Einsteins Relativitätstheorie beobachten lässt

Kolumne von Erich C. Setzwein

Es gibt Unterrichtsstunden, die wollen einfach nicht vergehen. Seminare, die kein Ende nehmen, weil die Referenten ihr großes Wissen unbedingt vollständig weitergeben wollen, sind ebenfalls bekannt. Und Sitzungen, in denen jeder Tagesordnungspunkt allein dadurch verlängert wird, weil der Redner die Worte seines Vorredners wiederholt, ausschmückt und vielleicht noch eigene Meinung hinzufügt, sowieso. Da mag der Zeiger einer Armbanduhr noch so schnell laufen und auf dem Smartphonedisplay der Sekundendoppelpunkt wie ein Diskoscheinwerfer blinken, die Zeit will einfach nicht vergehen. In Eichenau hat die Verwaltung noch vor dem Jahreswechsel öffentlichkeitsfreundlich reagiert und in die Sitzung zwei Geschwindigkeiten eingeführt.

Rechtzeitig zum letzten Treffen der Gemeinderäte in diesem Jahr ist die neue Zeitmessung fertig geworden. Sie ist ein Wunder moderner Ingenieurskunst und basiert auf rein analoger Technik, erinnernd an einen im Mittelalter verwendeten Zeitmesser: Die Stundenkerze, die seinerzeit in den Klöstern die vergehende Zeit anzeigte, hat in Eichenau eine moderne Aufwertung erfahren. Da der Sitzungssaal für die Weihnachtsitzung traditionell geschmückt wird, bot es sich an, die Zeitmessung mit roten Kerzen vorzunehmen. Mit frischem Tannengrün drapiert und mit Schokoleckereien verziert und damit dem Anlass angemessen, versahen etwa 30 rote Lichtlein am Sitzungstisch ihren Dienst. Auch am Tisch für die lokalen Medien leuchtete eine rote Kerze. Obzwar von gleichem Kaliber und gleicher Qualität wie die vor den Gemeinderäten und der Verwaltung, schien die Pressekerze schon nach dem zweiten Tagesordnungspunkt eine Art Turbo zu zünden, und ein Teil der immer wieder falsch verstandenen Relativitätstheorie wurde quasi bestätigt. Denn wie schnell die Zeit vergehe, so Albert Einstein einst, hänge von der Geschwindigkeit ab.

Mit der auf dem Pressetisch zusehends kleiner werdenden Kerze neigte sich denn auch die kurzweilige Sitzung ihrem Ende zu. Zumindest deren öffentlicher Teil. Die Gemeinderäte, vor denen die Kerzen aus unerklärlichen Gründen noch lange hell brennen würden, hatten noch den nichtöffentlichen Teil zu erledigen. Gut möglich, dass dieser aber - ohne Beobachtung durch die Presse - mit Lichtgeschwindigkeit erledigt wurde.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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