Waschmaschinen, Biowurst - Thomas Schiedeck hat schon einiges mit seiner Rikscha transportiert. Aber meistens sitzen zwei Menschen auf seiner Rückbank, den Fahrtwind im Gesicht, und lassen sich von ihm mit maximal 28 Kilometern pro Stunde ins Ziel bringen. Dieses Tempo wird aber nur kurz und nur auf geraden Strecken erreicht. Das Ziel beim Rikschafahren, oder gefahren werden, ist auch gar nicht das Ankommen. "Es geht nicht nur darum, eine bestimmte Strecke zurückzulegen", betont Schiedeck. Vielmehr sollen alle eine schöne Zeit haben.
"Ein kleines Glücksgefühl des Alltags" möchte er vermitteln. Darum fährt der Mammendorfer Rikscha, in München und auch im Landkreis. Zwischen 2000 und 3000 Kilometer fährt er jährlich im Englischen Garten und bei verschiedenen Veranstaltungen im Landkreis.
Eine davon ist die "weiße Nacht" in Germering, wo Schiedeck einen kostenlosen Fahrservice anbietet. Erst macht er Musik an, dann radelt er entspannt die Straße entlang. "Man fühlt sich in seine Kindheitstage zurückversetzt", erklärt er. "Es erinnert einen an das Schaukeln des Kinderwagens." Seine Rikscha hat drei verschiedene Dächer: ein buntes, ein weiß-blaues und ein knallrotes. Zusätzlich ist es mit Plastikblumen verziert und nachts macht Schiedeck bunte Lichter an. Schließlich solle man sich hier fühlen. Er sagt: "Wir sind Dienstleister, Wegweiser und Ersthelfer bei Blasen an den Füßen." Während er erzählt und in die Pedale tritt, kommt er kein bisschen außer Atem, obwohl eine leere Rikscha etwa 80 Kilogramm wiegt. Über die Jahre hat sich der Mann mit den kräftigen Waden und den freundlichen Augen eine beachtliche Kondition antrainiert.
2006 machte er bei einem Urlaub in Berlin eine Rikschatour - und war sofort begeistert. Allerdings wollte er nicht nur chauffiert werden, sondern selber fahren. Also bestellte er sich den Bausatz einer chinesischen Heckrikscha, ein besonders stabiles Modell, und baute sich sein eigenes Gefährt zusammen. Damals hatte er eine schwierige Zeit zu bewältigen: Der Handbuchbindermeister fand keinen Job. Die Rikscha, so sagt er, habe ihn aus der Arbeitslosigkeit gerettet. Denn durch sie sei er aktiv und unterwegs, immer wieder müsse er etwas reparieren: "Dadurch lässt man sich nicht hängen." Heute hat er wieder einen Job als Buchbinder, Rikscha fährt er trotzdem noch und ist Ansprechpartner des Rikschabundes "Wadlkraft".
Ein Leben ohne Räder und Pedale ist für den 54-Jährigen ohnehin unvorstellbar. "Ich bin ein Fahrradfetischist", scherzt er. In seiner Garage stehen so viele Räder, "die kann ich gar nicht zählen." Radeln, das sei einfach "eine sehr coole Art, sich fortzubewegen." Vielseitig einsetzbar, ist ein Rad nicht an dieselben Wege gebunden, wie ein Auto. Deshalb stapelten sich einmal auch 400 Kilogramm Biowurst bis unter das Dach seiner Rikscha. Ein Biometzger aus dem Schwarzwald wollte die Ware zum Tollwood-Festival bringen, der Zufahrtsweg aber war für Autos gesperrt. Also musste die Rikscha eine VW-Busladung Wurst transportieren. Zum Glück hält das stabile Modell 200 Kilogramm pro Reifen aus. "Der war total platt, was man mit einer Rikscha alles transportieren kann", erinnert sich Schiedeck. Am wichtigsten ist aber weiterhin nicht der Transport solcher Lasten, sondern das "Begleiten der Menschen". Manche steigen ein, sind unglücklich und suchen das Gespräch. Dann ist der Rikschafahrer auch Seelsorger. Den Menschen zu helfen, mag Schiedeck am liebsten. Wie dem Jungen mit dem schlimmen Liebeskummer, der einmal nach einem Volksfest bei ihm einstieg. Seine Freundin hatte gerade mit ihm Schluss gemacht. Schiedeck versuchte, ihn aufzubauen und auf andere Gedanken zu bringen. "Die Fahrt war mir dann erst mal wurscht", sagt er. Schließlich soll jeder, der aus seiner Rikscha aussteigt, hinterher ein bisschen glücklicher sein.