Mammendorf:Erinnerung an Bahnarbeiter

Lesezeit: 2 min

Historischer Verein blickt ohne Beschönigung auf Jubiläum

Von Peter Bierl, Mammendorf

Jubiläen werden im Regelfall ohne kritische Fußnote gefeiert, zumal wenn es sich um technische oder wirtschaftliche Leistungen handelt. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählte die Veranstaltung des Historischen Vereins zum 175. Jahrestag der Eröffnung der Bahnlinie München - Augsburg. "Wir wollen an das Schicksal der etwa 6000 unbekannten Menschen erinnern, die die Strecke gebaut haben", erklärte die Vereinsvorsitzende Anna Ulrike Bergheim den mehr als 120 Gästen, die zum Festvortrag gekommen waren.

Jeweils 800 bis 1600 Arbeiter waren beim Bau der einzelnen Abschnitte eingesetzt. Kreisheimatpfleger Toni Drexler rechnete vor, dass deren Tageslohn 40 Kreuzer betrug, Frauen bekamen weniger. Zum Leben reichte das kaum. Die Arbeiter waren in Baracken regelrecht kaserniert und mussten zwölf bis 13 Stunden schuften. Maschinen gab es nicht, die Strecke wurde mit Schaufel, Spaten, Pickel und Schubkarre gebaut. Es gab Unfälle, für die der Verantwortliche, eine private Aktiengesellschaft, selten auch nur einen Kreuzer herausrückte.

Fünf Jahre später begann der Torfabbau im Haspelmoor, bei dem von Mai bis September ebenfalls 1000 bis 1600 Menschen eingesetzt waren. Dabei handelte es sich überwiegend um Tagelöhner aus den Elendsregionen Bayerns. Drexler verglich die Zahl dieser Saisonarbeiter, die in den Dörfern ringsum hausten, in denen damals nur etwa 150 bis 200 Einwohner lebten, mit dem vergleichsweise bescheidenen Anteil von Flüchtlingen heute.

Der Lohn der Torfstecher war so gering, dass manche Gras vom Bahndamm rupften und kochten. Sie wurden "viehisch gehalten" in Ställen und Heuschobern, sagte Drexler. Sobald das Wetter schlecht wurde, ruhte die Arbeit, es gab keinen Lohn. Manche Torfstecher verlegten sich aufs Betteln und Stehlen, was die Probleme zwischen Einheimischen und Arbeitsmigranten verschärfte.

Gemeinsam erklärten Bergheim und Drexler die einzelnen Aspekte des Eisenbahnbaus, der eine neue Ära einleitete. König Ludwig I. stand dem Stahlross sehr skeptisch gegenüber. Er verfasste sogar ein Gedicht, über die Erde, die in Rauch aufgehen werde, und die Gefahr von Aufruhr und Umsturz. Der Monarch favorisierte die bekannte Technik des Kanalbaus. Eine alte Karte zeigt die Skizze eines Kanals, der von Schleißheim über Dachau, Mammendorf, Nassenhausen, Althegnenberg und Mering zum Lech führen sollte. Das Projekt wurde begraben, weil die Eisenbahn einfach besser war.

Während die Regierung desinteressiert war, hatten die Militärs schon begriffen, welche Vorteile sich boten. Sie verlangten von den Bauherren, dass die Bahn so ausgelegt sein musste, dass sie Kriegsmaterial transportieren kann. Weniger begeistert waren die Dachauer Gewerbetreibenden und Hausbesitzer, die um den Handel und den Wert ihrer Grundstücke bangten. Auch der Brucker Posthalter verlor Geschäftsanteile. Bereits in den 1850er-Jahren folgte der zweigleisige Ausbau. Die Dörfer begannen zu wachsen. Schon in den 1890er-Jahren wurde der Vorortverkehr eingeführt. "Vor über hundert Jahren waren die meisten Einwohner entlang der Strecke Pendler, die in München arbeiteten", so Bergheim. In die Gegenrichtung fuhren Sonntags die Ausflügler. Bis zu 15 000 Menschen besuchten in den 1920er-Jahren die Amperauen bei Olching.

Die Vorsitzende skizzierte die weitere Entwicklung von der Elektrifizierung 1927 über die Einführung der S-Bahn bis zum viergleisigen Ausbau. Bergheim erinnerte daran, dass Bahn AG und Regierung einen Regionalverkehr im Stundentakt versprachen, wenn schon der ICE bloß durchrauscht. "Darauf warten wir immer noch", betonte sie. Heute gibt es keine Verbindung mehr zwischen München und Augsburg, in die die Bewohner der Landkreis-Kommunen direkt einsteigen können. Die Situation ist wie vor 175 Jahren, vor dem Bau der Bahnlinie, rügte Bergheim.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: