Maisach:Wenn der Roboter die Zitzen putzt

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Der Bauernverband macht vor Beginn der Grünen Woche in Berlin auf die Situation der Milchviehhalter aufmerksam. Dabei zeigt die Familie Hartl in Thal, wie automatisiert die moderne Landwirtschaft ist

Von Erich C. Setzwein, Maisach

Lely Astronaut klingt wie ein Künstlername. Man könnte sich eine Zirkus-Artistin vorstellen oder auch einen auf Electro spezialisierten Discjockey, doch prangt die Bezeichnung nicht auf einer Konzert-Eintrittskarte, sondern auf den beiden Melkrobotern im Milchviehstall der Familie Hartl in Thal bei Maisach. In einen solchen Abfüllstand ist eben eine Kuh gestakst, sie lässt sich nun die Zitzen des Euters mit Bürsten säubern und massieren, macht sie so bereit für die Melkbecher, die an ihren Körper andocken und die fette Milch absaugen. Die Kuh spürt nicht, wie ein 3-D-Scanner ihren Bauch abtastet, um den Melkprozess starten zu können, die Kuh mit der Nummer 79 bekommt im Melkstand automatisch etwas Kraftfutter zur Belohnung und darf ihn wieder verlassen, wenn der Computer beschließt, sie habe genug Milch gegeben. So funktioniert Landwirtschaft heute, doch die Bedingungen scheinen sich weiter zu verschlechtern.

Andreas Hartl, 25 Jahre alt, gelernter Landwirt, gehört der 13. Generation an, seit 1420 sind die Hartls Bauern. Vor über einem Jahr hat die konventionell wirtschaftende Familie einen Stall für ihre Milchkühe gebaut, mit 100 Stück Fleckvieh gehören die Hartls laut Bauernverbandsvorsitzendem Johann Drexl schon zu den Massentierhaltern. Dass man diesen Begriff nicht einfach nur theoretisch gebrauchen, sondern sich ein Bild der Zustände machen sollte, hat den Bauernverband vor Beginn der Grünen Woche in Berlin zu einem Besichtigungstermin für die Medien in Thal bewogen. Eine Gelegenheit für die Milchbauern, Auskunft zu geben über den niedrigen Preis für das "am besten überwachte Lebensmittel" (Drexl), die Auflagen beim Neubau des Stalls und Kritik zu üben an den neuesten Überlegungen der Europäischen Union, die neueste Generation der von Licht und Luft durchfluteten Laufställe abzudichten und das durch die Gülle entstehende Methangas abzusaugen. "Deutschland ist wieder vorne dran", klagt BBV-Sprecher Drexl, "und will die Methanproduktion um 30 Prozent verringern."

Dass durch die betonierten Spaltenböden, auf denen die Kühe herumspazieren, schädliches Klimagas entweicht, ist weder zu sehen noch zu riechen. Laufställe wie jener in Thal sind nach dem Prinzip "Kuh-Komfort" geplant und gebaut, jede Kuh hat einen Futter und einen Schlafplatz, und wenn es einem Tier in der 72 Meter langen Halle danach ist, geht's zum Auslauf ins Freie. Alles nur dafür, dass die Leistungsfähigkeit der Tiere gesteigert wird.

"Kuh-Komfort" ist für den Jungbauern Andreas Hartl kein Witz, sondern Realität. Vieles in dem neuen Stall läuft vollautomatisch und fast geräuschlos ab, dass die Kühe ohne Stress Milch produzieren können. Selbst das Ausmisten zwischen den Tieren übernimmt ein Roboter, der sich zwischen den Kühen hindurchschlängelnd Kot und Urin durch den Spaltenboden drückt. Sein elektronischer Gefährte auf der anderen Seite ist fürs Fütter zuständig und schiebt regelmäßig das von Familie Hartl selbst angebaute und silierte Futter vor die Fressplätze. Videokameras überwachen den Stall und schlagen automatisch Alarm, wenn etwas ungewöhnlich erscheint. "Dann bekomme ich das aufs Handy", sagt Hartl junior. Zwar hat er als Landwirt der neuen Generation auch immer noch eine Siebentagewoche, aber er kann mit seiner Freundin, wie er sagt, mal in Ruhe zum Essen gehen - dank Überwachungssoftware für den Stall. Ebenso sieht Hartl rechtzeitig, wenn eine Kuh zu kalben beginnt. Die Mutterkuhbox ist der einzige Bereich, der dick mit Stroh bedeckt ist, so dass die Kälber nicht auf Beton geboren werden.

Die 6000 Liter Milch, die jeden zweiten Tag von einem Milchlaster der Firma Gropper abgeholt werden, tragen zum Umsatz auf dem Bauernhof wesentlich bei. Die Molkerei verarbeitet die Milch unter anderem für Discounter wie Aldi. Gropper nehme nur gentechnikfrei erzeugte Milch ab, zahle dafür aber auch nur die derzeit marktüblichen 31 Cent je Liter. Aldi legt für jeden Liter noch einmal 1,5 Cent drauf, weil die Kühe so komfortabel gehalten werden wie möglich. Das ist keineswegs der einzige Weg, Milch zu produzieren und zu verkaufen, aber für viele Milchviehbetriebe im Landkreis der gängigste.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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