Maisach:Im Lokalbahnfieber

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Eine Ausstellung beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Strecke zwischen Augsburg und München

Von Peter Bierl, Maisach

Der Titel Verkehrsknoten Maisach reizt zum Spott, allerdings liefen einst tatsächlich etliche Gleise in dem Dorf zusammen und das "Lokalbahnfieber" im Kaiserreich hätte dem Ort beinahe eine zweite reguläre Verbindung beschert. An die Bedeutung der Eisenbahn für Maisach erinnert eine kleine, gut gemachte und interessante Ausstellung, die der Arbeitskreis Geschichte erarbeitet hat. Sie ist die erste Veranstaltung im Landkreis anlässlich des Jubiläums 175 Jahre Eisenbahn München-Augsburg. Die Exponate, darunter einmalige und bisher unveröffentlichte Fotografien, sind in einem ehemaligen Laden in der Bahnhofstraße 4 zu sehen. Ein Film zeigt, welche An- und Aussichten sich Bahnreisenden noch vor einem Vierteljahrhundert boten, bevor auf der Strecke die Lärmschutzwände errichtet wurden.

Das Auto ist als individuelles Massenverkehrsmittel eine ökologische Katastrophe, egal ob mit Benzin- oder Elektromotor. Vielleicht war die Expansion des Automobils gar nicht so alternativlos. 1892 hatte Bayern ein Lokalbahngesetz erlassen, bis 1920 waren 135 Strecken genehmigt. Wären sie gebaut worden, hätte Bayern ein ziemlich flächendeckendes Netz besessen. Der Arbeitskreis Geschichte unter Leitung von Anna Ulrike Bergheim hat im Zuge seiner Recherchen alte Ratsprotokolle aus Überacker und Rottbach aufgestöbert, in denen die Zustimmung zu einer solchen Linie dokumentiert ist. 1919 beantragte der Besitzer der Maisacher Brauerei, eine Lokalbahn zwischen Odelzhausen und Maisach bauen zu dürften. Die Familie besaß in Odelzhausen eine zweite Brauerei. Die Strecke sollte nach Bruck und Aichach verlängert werden. Das Projekt scheiterte aufgrund der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg.

So wurde aus Maisach zwar kein richtiger Verkehrsknoten, aber die Bahn hatte eine enorme Bedeutung. Sie bescherte dem kleinen, alten Bauerndorf Wachstum, im Unterschied zu den inzwischen eingemeindeten Dörfern ringsum. 1840 entstand die Strecke München-Augsburg, 1897 wurde Maisach in den Vorortverkehr einbezogen und bekam eine Station. 1903 richtete die Reichsbahn in Gernlinden einen Haltepunkt ein, Malching folgte 1927 im Zuge der Elektrifizierung der Strecke. In Gernlinden existierte Anfang des 20. Jahrhunderts nur ein Gut und eine Forstbaumschule, die in den 1930er Jahren bis zu vier Millionen Baumsetzlinge verkaufte. An der Haltestelle wurden die Setzlinge und Milch verladen. Immerhin war der Maisacher Bahnhof noch Ausgangspunkt einer Feldbahn für den Kiesabbau, dazu einer Torfbahn ins Fußbergmoos samt Nebenstrecken, auf denen Esel die Loren zogen. Die Torfbahn war von 1921 bis 1924 in Betrieb, bevor der Betrieb pleite machte. Bis heute existiert die Abzweigung zum Fliegerhorst, auf der bis in die frühen 1990er Jahre die Tankzüge rollten.

Anna Ulrike Bergheim (links) führt Besucher durch die Ausstellung in der Bahnhofstraße 4. (Foto: Günther Reger)

Die detaillierte historische Aufarbeitung der Ausstellung wird anschaulich durch viele Fotos, die der Arbeitskreis aus dem umfangreichen Lichtbildarchiv der Bahn bekommen hat. So ließ die Bahn 1902 alle Stationen samt Belegschaften aufnehmen, darunter auch Maisach. Eine Rarität ist die Aufnahme von 1938 aus Malching, sie zeigt den Innenraum eines Schalters. Aus dem gleichen Jahr stammt ein Bild des Maisacher Bahnhofs, geschmückt mit Hakenkreuzfahnen und Schulkindern, die gerade abmarschieren. Sie hatten Spalier gestanden, als kurz zuvor war ein Sonderzug mit einem NS-Granden, vermutlich Goebbels oder Göring, durchgerauscht war.

Andere Fotos zeigen die völlig in Vergessenheit geratenen Schwellensteine. Beim Bau der Strecke hatte die Privatgesellschaft unbehandelte Fichtenbohlen verwendet, erzählt Bergheim. Als der Staat die Strecke 1845 übernahm, waren schon viele kaputt, über 70 000 mussten ausgewechselt werden. Eingebaut wurden dafür teilweise Schwellensteine, die 60 mal 60 mal 40 Zentimeter groß waren. Beim viergleisigen Ausbau der Strecke kamen einige von ihnen zufällig wieder ans Tageslicht.

Erstmals öffentlich gezeigt werden Fotos von der Fliegerbeobachtungsschule der Fliegerdivision des bayerischen Heeres, die im Bayerischen Kriegsarchiv aufbewahrt werden. Die Schule bildete ab 1912 Flugbeobachter aus. Diese flogen in Zweisitzern zu Übungszwecken die Bahnlinien entlang und machten über zehntausend Luftbilder, darunter 160 von der Strecke München-Augsburg. In der Ausstellung dokumentieren 18 Bilder die Stationen von München bis Augsburg, man kann sogar die Züge und den Rauch der Lokomotiven erkennen. Die Bilder sind fünf mal fünf Zentimeter groß. Dazu wird ein Luftbild von Olching gezeigt, das vermutlich 1912 aus einem Ballon aufgenommen wurde.

Zu sehen gibt es in der Ausstellung unter zahlreichen Exponaten auch viele bisher unveröffentlichte Fotografien. (Foto: Günther Reger)

Den raschen Wandel, den die Eisenbahn auslöste, belegen auch die Wirtschaften, denen in der Ausstellung ein Bereich gewidmet ist, weil sie ohne das Verkehrsmittel so nicht entstanden wären. Der Maisacher Sommerkeller avancierte zum beliebten Ausflugsziel der Münchner, der Alte Mathäser, 1863 gebaut, diente im Krieg von 1870/71 als Lazarett. 2010 wurde das Haus abgebrochen. Als gerade erste Pläne und Ideen für die Bahnlinie diskutiert wurden, kaufte Ignatz Dallmayr 1835 ein Grundstück und baute darauf drei Jahre später eine Wirtschaft. Er hatte entweder Informationen aus erster Hand oder den richtigen Riecher für die Goldgrube. 1989 wurde das Haus abgerissen. Das gleiche Schicksal ereilte das Waldschlößl in Gernlinden von Anno 1903. Mit einer Stimme Mehrheit beschloss der Gemeinderat seinerzeit diese Sünde wider den Denkmalschutz. Das Anwesen wurde 1990 abgerissen, dort steht jetzt das Bürgerhaus.

Die Ausstellung Knotenpunkt Maisach kann noch bis 18. Oktober sowie am 7. und 8. November jeweils von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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