Kultur:Spiel mit den Grenzen der Kunst

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Stefan Schessl (links) und Rasso Rottenfusser konfrontieren die Besucher mit der Frage wo Kunst beginnt und wo sie aufhört. (Foto: Johannes Simon)

Die Künstler Rasso Rottenfusser und Stefan Schessl nehmen die Besucher in ihrer aktuellen Ausstellung mit auf eine Reise der Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung.

Von Enna Kelch, Fürstenfeldbruck

Vor der Tür eines kleinen unscheinbaren Hauses in verblasstem ockerfarbenen Anstrich steht eine einfache Sitzbank einer Bierzeltgarnitur - die Sitzfläche dicht umwickelt mit Vlies aus recycelten Stoffresten. Daneben ein weißes Würfelregal als Beistelltisch. Gegen 17 Uhr spaziert der Künstler Rasso Rottenfusser aus dem zweistöckigen Haus, legt einen kleinen Haufen Tabak auf ein Blättchen, dann einen Filter in die Lücke und rollt es mit zwei Fingern zusammen. Die Sitzmöglichkeit, auf der Rottenfusser nun seine Zigarette raucht, könnte als Teil der Ausstellung im ockerfarbenen Haus interpretiert werden. Aber das sei dem Betrachter selbst überlassen. Besucher seiner Ausstellung seien automatisch mit der Frage konfrontiert, wo Kunst beginnt und wo sie aufhört. Gemeinsam mit dem Künstler Stefan Schessl präsentiert Rottenfusser vom noch an diesem Wochenende eine Ausstellung im Rückgebäude des Hotel Hartmann, die mit den Grenzen der Kunst spielt.

Rottenfusser malt keine Bilder, die das Bedürfnis nach Ästhetik stillen. Er kommt zwar ursprünglich aus der Malerei, hat aber eine ganz andere Leidenschaft gefunden. Mittlerweile arbeitet er viel lieber mit Räumen und Materialien. In dem verwinkelten kleinen Häuschen, das Schessl als Atelier nutzt, baute er Installationen ein. Obwohl die Planung seiner Arbeiten durchaus sehr aufwändig ist, fasziniere ihn die Einfachheit seiner Werke. Sie schmiegen sich fast organisch in die Winkel und Räume des kleinen Hauses ein. Dabei offenbaren sich manche schneller, andere scheinen bewusst darauf angelegt, nicht aufzufallen.

Oft ist bei den Arbeiten nicht auf den ersten Blick klar, ob sie Kunst sind oder einfach Teil der Innenausstattung. (Foto: Johannes Simon)

Die erste Installation, die man auf der Reise durch das kleine Häuschen entdeckt, hängt plakativ an der Wand des schmalen Ganges. Auf der rechten Seite ist ein Leuchtkasten befestigt, der die Idee eines Leuchtrahmens für Werbeplakate simuliert. Solch einer, der an einer Bushaltestelle oder Hausfassade hängt. Aber er ist leer und seiner Funktion entfremdet. Die große Installation ist in eine rechtwinklig angeordnete Konstruktion aus Pressspan und dickem Stahlrahmen integriert. Sie sticht sofort als eines von Rottenfussers Werken heraus. Ein anderes ist erst beim genaueren Hinschauen als solches zu lesen. Es hängt in der ersten Etage. Ein unscheinbarer Regalwürfel, ähnlich jenem, der unten vor der Haustür steht, fungiert als Halterung einer Musikanlage. Er könnte Teil der regulären Inneneinrichtung sein. "Beim Betrachten meiner Kunst kann man beobachten, wie die Wahrnehmung funktioniert", erzählt der 57-jährige Künstler. Mit seinen Arbeiten thematisiert er den unauflösbaren Zwist zwischen autonomer Form und zweckdienlicher Funktionalität. Man sieht die Grenze zwischen Architektur und Raumsituation verschmelzen.

Die Kunst seines Kollegen Stefan Schessl setzt sich ebenfalls mit "Grenzen" auseinander. Die beiden trafen sich damals während des Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in München. "Ich habe mich einfach mal in die Vorlesung reingesetzt", schwelgt Rasso Rottenfusser in Erinnerung. Obwohl er nicht eingeschrieben war, ließ er sich nicht davon abhalten, sich künstlerisch weiterzubilden. Auch Schessl verfolgte seine Karriere als Künstler, hatte Stipendien in Rom, New York und Paris und stellte weltweit in Museen und Institutionen aus. Seine Kunst entsteht aktuell in dem Atelier in Fürstenfeldbruck an der Amper. Ganz versteckt und unscheinbar. "Es ist eigentlich zu klein, hat zu wenige Wände und war anfangs auch nur provisorisch", erzählt er. Nun arbeitet er schon seit zehn Jahren in seinem Provisorium. Als er Rottenfusser durch Zufall wieder traf, bot er ihm an, eine Ausstellung in seinem Atelier zu erarbeiten. Genau das taten die beiden Künstler aus München nun und das, obwohl ihre Kunst auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnte.

Kunst als Prozess ohne bestimmtes Ziel

Stefan Schessl bedient sich dem Medium der Malerei. Seine Leinwände hängen im ersten Stock in mehreren Räumen an der Wand. Eigentlich genauso, wie sie auch sonst hängen, wenn er gerade arbeitet. Am Tag der Eröffnung trägt er vorerst noch eine bekleckste Malerhose, bevor er sich in seine dunkle Hose und ein legeres Hemd wirft. "Vielleicht verändert sich hier im Laufe der Ausstellung noch was", sagt er, weil er nicht ausschließen könne, an seinen Werken weiterzuarbeiten. Schessls Bilder sind nicht leicht zu durchschauen. Er spielt mit grafischen Spuren, Texturen, abstrakten Formen und irreduzibler Vieldeutigkeit. Die Bilder zeigen seine rohen Pinselspuren - manche grob, andere fein, einige geschwungen, andere linear. Sie befriedigen keinesfalls das Bedürfnis nach Abbildhaftigkeit. Wenn Schessl eine seiner Arbeiten beginnt, ist es oft ein langer Prozess ohne ein bestimmtes Ziel. "Ich mache streng genommen irgendwas", sagt er. Denn auch er arbeitet mit den Grenzen der Kunst. Genauer: Mit den Grenzen der Malerei. Schon seit Beginn seiner Arbeit experimentiert Schessl damit, die Malerei an jenen Rand zu treiben, an dem die Identität des Sichtbaren beziehungsweise im Gemälde Gesehenen zerfällt. Er male nicht im Dienste der Erzeugung eines Bildes. "Ich male etwas, das außerhalb der Malerei kaum etwas ist", erklärt der Kunstschaffende.

Besucher der Ausstellung können in den Werken entweder gar nichts oder aber auch sehr viel sehen. Sie lädt ein auf ein zwangloses Auseinandersetzung mit kunstphilosophischen Fragen ein. "Ich finde es wichtig, dass diese Fragen gestellt werden", sagt Rottenfusser. Er freue sich schon darauf, mit Interessierten in den Dialog zu treten. Seine Definition: "Kunst ist Leben und Leben ist Kunst."

Die Ausstellung ist noch am Samstag, 30. September und Sonntag, 1. Oktober, jeweils von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Die Künstler sind zu erreichen unter schessl@gmx.net und mail@rasso-rottenfusser.com .

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