Kommentar:So normal wie der Kirchturm

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Windräder an der Grenze zur Nachbarkommune aufzustellen, erinnert immer ans Sankt-Florians-Prinzip. Doch schuld daran ist häufig die Zehn-H-Regel

Von Stefan Salger

Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu. Den Spruch kennt man noch aus der Sandkastenzeit. Die philosophischere Variante ist bekannt als Kants kategorischer Imperativ. In der Realpolitik gilt eher eine andere Interpretation: Was deine Bürger nicht haben wollen, das setze am besten den Menschen vor die Nase, die zwar nichts davon haben, aber sich nicht dagegen wehren können.

Bekannt ist die Strategie von Atomkraftwerken. Die finden sich häufig in Grenznähe. Auch die Nachbarn sollen sich ja am Anblick des prächtigen Betoneis oder des beeindruckend herausquellenden Wasserdampfs erfreuen können. Neun Kernkraftwerke mit 20 aktiven Reaktoren befinden sich dem Online-Portal Statista zufolge an der deutschen Grenze.

Die Lösung wäre der Umstieg auf regenerative Energiequellen wie Sonne und Wind. Dort aber bietet sich bisweilen ein ähnliches Bild. Die Kommunen finden oft an der Gemeindegrenze ein passendes Plätzchen fürs Windrad. Die Bürger jenseits der Grenze können sich ja nicht an der Wahlurne rächen. Nicht immer ist der Eindruck des Sankt-Florians-Prinzips allerdings zutreffend. Denn es gibt, zumindest in Bayern, nur sehr wenige Standorte, die sich mit der Zehn-H-Regel überhaupt vereinbaren lassen.

In Sichtweite der Germeringer könnten nun auf Kraillinger und Gilchinger Flur bis zu sechs Windräder errichtet werden. Ausschlaggebend für diesen Standort ist wohl vor allem, dass im Flächennutzungsplan der Bereich östlich der Autobahn A 96 als Konzentrationsfläche für Windkraft ausgewiesenen ist und alte Baugenehmigungen Bestandsschutz genießen. Der Abstand vom nächstgelegenen Windrad zu Germering betrüge etwa einen Kilometer, zu Gauting hingegen zwei und zu Krailling drei Kilometer.

Vielleicht würde der Debatte über die Propeller, die einem von der Nachbarkommune vor die Haustür gestellt werden, ja der Boden entzogen, wenn endlich die 10-H-Regelung ganz abgeschafft würde und die Windräder im Außenbereich als zentrale Säule der Klimawende ebenso privilegiert werden wie landwirtschaftliche Hallen. Dann würden sie gar nicht mehr auffallen, sondern würden zum Dorf gehören wie der Kirchturm oder die Strommasten. Höchste Zeit, dass den beiden Windrädern der Stadtwerke, die übrigens mitten im Landkreis stehen und an die man sich längst gewöhnt hat, Gefährten an die Seite gestellt werden. Und vor allem, dass dann die Nachbarn an den Erträgen der umweltfreundlichen Kraftwerke beteiligt werden.

© SZ vom 26.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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