Judentum und Antisemitismus:Achtung und Wertschätzung

Lesezeit: 3 min

Oren Osterer spricht mit Zehntklässlern des Viscardi-Gymnasiums über das Judentum und Antisemitismus. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Unterricht mit dem jüdischen Medienwissenschaftler Oren Orterer stößt bei Brucker Schülern auf großes Interesse

Von Manon Harenberg, Fürstenfeldbruck

"Ihr seid zu Toleranz und Zivilcourage aufgerufen, denn davon lebt unsere Demokratie." Mit diesem Worten beginnt Klassenlehrerin Sybille Hausdorf den Unterricht in der 10. Klasse des Viscardi-Gymnasiums. An zwei Tagen geht es an der Schule um Achtung und Wertschätzung gegenüber Menschen jüdischen Glaubens. Veranstaltet werden die sogenannten Antisemitismus-Tage für die zehnten Klassen.

Zu Gast ist der Münchner Medienwissenschaftler und Politologe Oren Osterer, selbst Jude. Die Schülerinnen und Schüler sollen die Gelegenheit haben, das Judentum aus erster Hand kennenzulernen und mit Osterer in den interreligiösen Dialog treten. Voneinander lernen, gemeinsam Krisen meistern und so die Demokratie schützen, darum geht es.

Seit 2017 darf sich das Viscardi-Gymnasium als "Schule ohne Rassismus" bezeichnen. Es ist damit Teil eines Netzes aus über 3000 Schulen, die sich aktiv gegen Diskriminierung positionieren. Der Lehrplan für Mittel- und Oberstufe des Gymnasiums sieht die Behandlung von Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg und Nah-Ost-Konflikt vor. Antisemitismus ist dabei ein wichtiger Punkt.

Osterer setzt mit seinem Vortrag bei den noch viel grundsätzlicheren Fragen an, die in der Schule teilweise wegen Zeitmangels unter den Tisch fallen: Wer ist Jude und wie wird man Jude? Wie viele Juden leben überhaupt in Deutschland, in Israel und auf der Welt? Und woher kommt der Spruch "Zwei Juden, drei Meinungen"? Ein bekannter Witz, der zeigen solle, wie Unterschiedlich die Juden seien. Denn eine einheitliche Religionsgruppe seien sie nicht, es gebe kaum eine Gebiet, auf dem alle Juden einer Meinung seien.

Abgestimmt auf die Schüler und interaktiv gestaltet Oren seinen Vortrag, die Schüler folgen ihm aufmerksam und sehr interessiert. Was assoziieren sie mit dem Begriff "Jude"? Wörter wie Holocaust, Rassenlehre oder Unterdrückung fallen, die meisten Begriffe stehen in Verbindung mit dem Nationalsozialismus. Auch werden jüdische Riten und Gebräuchen genannt, wie Sabbat, Kippa oder die Thora. Meist kämen den Menschen vor allem negativ konnotierte Begriffe in den Sinn, sagt Osterer. Denn in Schulbüchern gebe es vor allem zwei Themen, die in den Zusammenhang mit dem Judentum gebracht würden: Holocaust und Nahost-Konflikt. Das allein spiegle die Realität der Juden aber nicht wider. "Ich finde es wichtig über Antisemitismus aufzuklären - präventiv", sagt er. Osterer, geboren 1981 in Köln, hat schon in seiner eigenen Schulzeit Antisemitismus erlebt. "Das, was ihr mit den Palästinensern macht, ist das, was Hitler mit euch gemacht hat", habe damals ein Siebtklässler zu ihm gesagt, berichtet er. Seither habe er öfters mit Antisemitismus zu tun. Aber was ist Antisemitismus überhaupt? Die Schüler sollen eine Definition finden. Eine Abneigung oder Feindlichkeit gegen Juden, sagen sie.

Eine Schülerin fragt, ob Osterer als Jude mit einem Antisemiten überhaupt sprechen würde. "Ja, habe ich auch schon," antwortet er. "Dem würde ich aber nicht sagen, dass er Antisemit ist." Antisemitismus sei ein Reizwort und der Vorwurf führe direkt zum Skandal. Rational zu diskutieren sei dann nicht mehr möglich. Osterer präsentiert Fakten: Von einer großen Mehrheit der Bevölkerung wird ein wachsender Antisemitismus wahrgenommen. Laut einer Studie des Jüdischen Weltkongresses hat jeder vierte Deutsche antisemitische Gedanken, 41 Prozent sind der Meinung, Juden redeten zu oft über den Holocaust. Genauso vertreten 41 Prozent der Deutschen die Ansicht, Juden würden eher Israel die Treue halten als Deutschland.

Jude ist von Geburt an, wer eine jüdische Mutter hat. Zu konvertieren ist möglich, aber schwierig und langwierig. Insgesamt leben derzeit 200 000 Jüdinnen und Juden in Deutschland; in Israel sind es 6,7 Millionen, das macht 74,2 Prozent der Landesbevölkerung aus.

Bis heute waren 23 Prozent der Nobelpreisträger jüdischen Glaubens. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung macht lediglich 0,2 Prozent aus. Wie kann es also sein, dass die Juden einen derart hohen Anteil unter den Nobelpreisträgern haben? "Liegt das an einem speziellen jüdischen Supergen?", fragt Osterer in die Runde. Die Ursache dafür ist einfach erklärt: Das Minoritätenphänomen. Juden hätten sich schon immer mehr behaupten müssen als andere, daher blickten sie auf eine lange Bildungstradition zurück. Das einzige, was ihnen bei Verfolgung und Ausgrenzung niemand habe nehmen können, sei ihr Wissen gewesen, erklärt Osterer.

© SZ vom 27.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: