Jobsuche eines Sehbehinderten:Der Dunkelheit entgegen

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Nicht nur bei seiner Arbeit, sondern auch bei seinem größten Hobby, dem Zeichnen, beweist Mathias Kuhn seine Sorgfalt und den Blick für Details. (Foto: Johannes Simon)

Der junge Fürstenfeldbrucker Mathias Kuhn findet keinen Job. Er vermutet, es liegt an seiner Sehbehinderung. Er ist kein Einzelfall im Landkreis

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Immer wieder ist da die Hoffnung, der Gedanke, dass es dieses Mal klappen könnte, dieses Mal einfach klappen muss. Mathias Kuhn ist 25 Jahre alt und hat in wenigen Monaten über 200 Bewerbungen für einen Job als Verwaltungsfachangestellter verschickt. Seine Voraussetzungen sind ideal, er hat sein Abitur mit guten Noten bestanden, hat eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten in Kirchseeon absolviert und seine ehemaligen Vorgesetzten haben ihn Arbeitszeugnisse wie aus dem Bilderbuch ausgestellt. Gelobt wird sein hoher Einsatz und seine umfassendes und vielseitiges Fachwissen. Woran es scheitert? Daran, dass Mathias unter einer Sehbehinderung namens Retinits Pigmentosa leidet, da ist er sich sicher. Die Stäbchen und Zapfen seiner Netzhaut sterben nach und nach ab. Irgendwann wird der Moment kommen, in dem Mathias nichts mehr sehen kann. Wann er da sein wird, weiß niemand.

Schon jetzt ist sein Sehfeld eingeschränkt. Wenn es abends beginnt zu dämmern, ist er auf den Blindenstock angewiesen, dann sieht Mathias nämlich so gut wie nichts mehr. Auch die einzelnen Farben wahrzunehmen, fällt ihm mittlerweile schwer. Nach und nach verblasst seine Welt. Und diese Krankheit, da sind er und seine Eltern sich mittlerweile sicher, ist der Grund, warum niemand ihn einstellen will. Offen gesagt hat es natürlich keiner der Chefs, denen Matthias in zahlreichen Bewerbungsgesprächen gegenüber gesessen ist. In einer Zeit, in der die Inklusion als Stichwort allerorts gefeiert wird, findet man andere Argumente. "Es heißt, andere Bewerber sind besser geeignet", erzählt seine Mutter Ilka. Nach über 200 Bewerbungen auf Stellen für die Mathias alle Voraussetzungen erfüllt, werde man eben stutzig und irgendwann kommt die Verzweiflung.

In den letzten Jahren hat die Familie nach jedem Strohhalm gegriffen. "Wir haben jeden Bürgermeister im Umkreis abgeklappert, haben unter anderem mit dem Behindertenbeauftragten und dem Landrat gesprochen, sogar schon an Gerda Hasselfeldt geschrieben", erzählt Vater Jürgen Kuhn. Ratschläge gab es viele, immer wieder das Versprechen, man werde sich einsetzen. Geklappt hat es nie. Mathias tritt gepflegt auf, ist zwar eher zurückhaltend, doch der junge Mann weiß sich gewählt auszudrücken und macht einen freundlichen Eindruck. An früheren Praktikumsstellen war er bei seinen Kollegen beliebt. Ein ehemaliger Abteilungsleiter im Landratsamt habe sich sogar dafür eingesetzt, dass er eine feste Stelle bekommt. Und seine Behinderung sei zumindest für diese Art der Arbeit kein Problem. Noch sieht er tagsüber gut genug.

"Ich fühle mich langsam diskriminiert", sagt er. "Ich habe jedes mal wieder die Hoffnung, dass es klappt. Oft habe ich Vorstellungsgespräche, aus denen ich mit einem guten Gefühl herausgehe, ich habe von der Stadt Puchheim ein aktuelles und wirklich sehr gutes Arbeitszeugnis, das ich meinen Bewerbungen beilege. Ich kann nicht verstehen, dass sie jedes Mal jemanden finden, der besser ist", sagt er. Und das in einer Zeit, in der der Landrat betont, er würde gerne zusätzliche Stellen in der Verwaltung schaffen, doch das Fachpersonal fehle. Im Moment arbeitet Mathias auf sechs Monate befristet in der Puchheimer Stadtverwaltung. Der einzige Arbeitgeber, der ihm zumindest die Chance gegeben hat, zu zeigen, was er kann. Auch wenn es dort momentan keine offene Stelle in seinem Bereich gibt. Eine Chance wie diese sei selten. "Wir haben verschiedenen Arbeitgebern auch schon angeboten, dass Mathias eine gewisse Zeit lang umsonst arbeiten könnte, um sich zu beweisen", sagt Jürgen Kuhn. Darauf eingegangen ist nie jemand.

Das Arbeitsamt sei auch keine Hilfe. Vor Mathias auf dem Esstisch liegt ein Stapel aus Briefen vom Amt. Allesamt Stellenausschreibungen, auf die sich der junge Mann bewerben soll. Ein hoher Prozentsatz enthält Stellen, von denen auch der zuständige Sachbearbeiter wissen müsste, dass sie für den 25-jährigen ungeeignet sind. Entweder sie liegen zu weit weg, was ein Problem ist, weil Mathias aufgrund seiner Sehbehinderung keinen Führerschein machen kann und auf gute Busverbindungen oder Fahrdienste angewiesen ist oder es sind Ausschreibungen für Stellen in höheren Positionen, für die er ohnehin nicht qualifiziert wäre. "Ich verstehe das nicht, schaut denn da niemand darauf?", fragt sich seine Mutter. Der Tiefpunkt: Ein Bewerbungsgespräch bei dem der Vorgesetzte sagte, er könne es nicht verantworten, Mathias einzustellen, da es zu seinen Aufgabenbereichen gehören würde, nachts auf dem Firmengelände mit dem Fahrrad Streife zu fahren.

Die Mutter glaubt "Die Arbeitgeber befürchten, dass Mathias nicht mehr lange effektiv genug arbeiten kann. Sie fürchten, die Spezialgeräte, die sie anschaffen müssten, sollte sich seine Sehleistung verschlechtern, wären zu teuer", erzählt sie. Sie ist sich sicher, viele Arbeitgeber zahlen lieber die Strafe, die anfällt, wenn sie die Quote für Mitarbeiter mit Behinderung nicht erfüllen. Martina Lampl, die Vorsitzende des Brucker Beirats für Menschen mit Behinderung kann diesen Eindruck bestätigen. Sie selbst habe ähnliche Erfahrungen gemacht. "Ein Unternehmer hat mir sogar gesagt, jemanden wie mich würde er auch nicht einstellen und das was er an Strafe zahlen müsse, zahle er aus der Protokasse". Und tatsächlich, die 300 Euro pro Jahr sind wohl kaum ein Betrag, der die meisten Arbeitgeber schmerzen würde.

Die Hoffnungen der Arbeitssuchenden mit Behinderung gehen kaum in Erfüllungen, meint Lampl. "Es ist ein Thema das brennt", sagt sie. " In der Theorie wird immer wieder von Inklusion gesprochen, in der Praxis wird Separation betrieben", sagt sie. Wie es für Mathias weitergehen soll, ist ungewiss. Die letzte Hoffnung ist, dass jemand, der eine Stelle in der Verwaltung vergeben möchte, seine Geschichte liest und sich meldet.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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