Jesenwang:Auf vier Hufen durch die Kirche

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Mehr als 2000 Besucher verfolgen die 294. Auflage des Willibaldsritts, an dem 240 Pferde, zehn Gespanne und zwei Kutschen teilnehmen. Die Erfüllung des Gelöbnisses zeigt, wie in einer kleinen Gemeinde Heimatverbundenheit und Tradition gepflegt werden

Von Stefan Salger, Jesenwang

Das helle Läuten der gelb-weiß beflaggten Wallfahrtskirche Sankt Willibald liegt in der Luft. Am Rande der großen Wiese Richtung Jesenwang spielt die Adelshofener Blasmusik dagegen an. Wo sich kirchliche und weltliche Klänge mischen, scheuen ein paar Pferde und müssen von ihren Reitern oder Begleitern fester am Zaumzeug genommen werden. Es sind nur kurze Momente, in denen einige der Besucher etwas verunsichert zurückweichen. Dann stimmt die Choreografie wieder: Rösser, Kutschen und Reiter streben am frühen Sonntagnachmittag dem Augenblick entgegen, für den sie teils Anfahrtswege bis aus Murnau oder Fahrenzhausen auf sich genommen haben.

Gut zweitausend Besucher säumen beim Willibaldsritt die Straßen, warten rund um die kleine Kirche vor den Toren Jesenwangs oder am Rande wogender Weizenfelder. Noch im Ort hatten sie es sich auf Picknickdecken und sogar auf einer Couch unterm roten Sonnenschirm bequem gemacht. Auf der Friedhofsmauer saßen drei junge Mädchen im Dirndl, auf dem grünen Spielzeugtraktor am anderen Straßenrand ein Dreikäsehoch. Der schier endlose Zug der 240 Pferde, der zehn Gespanne und drei Kutschen umrundet die Kirche in einem weiten Bogen, sammelt sich auf der Wiese und setzt sich schließlich erneut in Bewegung. Durch das Spalier der Zuschauer erreicht das erste Pferd das geöffnete Nordportal der 1478 errichteten Willibaldskirche. Darüber steht geschrieben: "Sankt Willibald, bitt für uns". Flankiert wird der abgebildete Schutzpatron von zwei kleinen Engeln, von einer Wolke schaut er herab auf die Jesenwanger und ihre Pferde. An diesem Tag muss sich der Heilige einen anderen Aussichtspunkt gesucht haben, denn bei mehr als 30 Grad ist kein Wölkchen am Himmel zu erblicken. Am europaweit einzigartigen Prozedere ändert das nichts: Pferd auf Pferd, vom Pony über den Haflinger bis zum Kaltblut, setzt die Hufe über die Schwelle der Kirche, Tier, Reiter und Begleiter werden mit Weihwasser gesegnet. Nach ein paar Metern geht es dann zum Südportal gleich wieder heraus. Pfarrer Wolfgang Huber, der zum 13. Mal selbst mitgeritten ist und einen schwarzen Hut nebst weißer Feder trägt, Diakon Tomislav Rukavina und Gemeindereferentin Marina Ebner lösen sich auf dem hölzernen Podest ab: Segnung als Schichtarbeit. Den Pferden folgen die Kutschen, deren eisenbeschlagene Räder übers Kopfsteinpflaster rattern. Da ist der Leiterwagen aus Grafrath, auf dem prächtig gekleidete Trachtler sitzen, da sind die Wagen mit den Modellkirchen von Türkenfeld und Jesenwang oder auch Truhenwagen und Vierspänner. Weil Wagen zu breit sind für die Portale, nehmen Rösser und Kutscher die Segnung auf einer weiteren Runde um die Kirche entgegen. Auf der Wiese warten sodann Wassertröge auf die Vierbeiner und auf die Zweibeiner kühle Getränke in dem unter schattenspendenden Bäumen eingerichteten Biergarten.

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(Foto: Günther Reger)

Das Kreuz weist dem folgenden Tross aus Pferden und Kutschen den Weg vom Jesenwanger Gemeinschaftshaus zur Willibaldskirche.

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(Foto: Günther Reger)

Mittendrin: Der Jesenwanger Fahnenwagen...

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(Foto: Günther Reger)

... und drei junge Mädchen, die huldvoll grüßen.

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(Foto: Günther Reger)

Am Rande der großen Wiese Richtung Jesenwang spielt die Adelshofener Blasmusik.

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(Foto: Günther Reger)

Pferde und Kutschen sind festlich geschmückt.

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(Foto: Günther Reger)

Auch kulinarisch wird beim Jesenwanger Willibaldsritt etwas geboten.

Dort stimmen die Blaskapellen aus Adelshofen, Grafrath, Kottgeisering und Unterschweinbach gemeinsam die Bayernhymne an. Und dort beschwören Bürgermeister Erwin Fraunhofer sowie Altbürgermeister und Vizelandrat Johann Wieser die Heimatverbundenheit und die Tradition, die auch in der modernen Gesellschaft ihren Platz habe. Die Landtagsabgeordneten Reinhold Bocklet (37. Teilnahme) und Kathrin Sonnenholzner dürften das ähnlich sehen. Alois Haberl auch. Der 68-Jährige hat in Jesenwanger Zentrum eine Stunde zuvor "Novizen" instruiert sowie registriert und altgedienten Teilnehmern für 10, 20 oder 25 Jahre Medaillen mit auf den Weg gegeben. "Wir halten hier alle zusammen", sagt er. Und die Jugend ziehe mit. Mit seinen 38 Jahren ist der Vorsitzende des Freundeskreises St. Willibald selbst noch ziemlich jung: Martin Schmid strahlt an diesem Tag mit der Sonne um die Wette. Wegen des wunderbaren Festzugs. Aber auch deshalb, weil Peter Augendopler eigens aus Wien angereist ist. Der Sammler hatte vor einigen Jahren eine vor 40 Jahren unter ungeklärten Umständen verschollene Votivtafel ersteigert und dem Willibaldverein geschenkt.

Als der Festzug durch den Ort gezogen war, saß Hermann Bauch, 73, aus Eichstätt an der Bushaltestelle, um das Defilee all der festlich geschmückten Kutschen und Pferde und anschließend auch noch diesen berühmten Kirchendurchritt einmal selbst zu erleben. Anton Zadocil, 83, saß neben ihm. Der Maisacher hat beim Willibaldsritt schon sieben Mal zugesehen. "Jedes Mal wieder ein Erlebnis", schwärmte er. Diese Würde, diese Tiere, diese Trachten - "einfach schön".

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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