Inklusion:Tanzen auf Rädern

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Lebensfreude pur im Rollstuhl. Margit Quell (vorne) macht vor, wie man sich im Rollstuhl elegant mit einer Partnerin auf einer Tanzfläche bewegt. (Foto: Günther Reger)

Bei einem Inklusionsprojekt erfahren Siebtklässer am Graf-Rasso-Gymnasium, wie man im Rollstuhl einen Walzer mit einem Partner dreht. Zuerst reagieren die Schüler etwas unbeholfen, aber dann haben sie richtig Spaß

Von Julia Kiemer, Fürstenfeldbruck

Rollstuhltanz, darunter können sich die Schüler der siebten Klassen des Graf-Rasso-Gymnasiums (GRG) erst einmal nichts vorstellen. "Wie soll das denn gehen?", fragt einer. Sie werden von Margit Quell eines Besseren belehrt. Im Rahmen eines Inklusionsprojekts unter dem Motto "Alles anders?! Leben mit Handicap", das vom Elternbeirat organisiert wird, sind am vergangenen Freitag vier Referenten für die Bereiche "Blind, Gehörlos, Autismus und Körperbehindert" eingeladen. In Workshops lernen die Schüler die Menschen mit ihren Behinderungen kennen, erfahren mehr über deren Leben. Zudem können ausprobieren, wie es sich anfühlt, damit zu leben.

Den Anstoß zum Inklusionsprojekt gab Monica Bahner. Die Vorsitzende des Elternbeirats ist selbst Lehrerin an einer Förderschule in Dachau. Zusammen mit dem GRG-Musiklehrer Georg Alkhofer organisiert sie ein bis zwei Mal im Jahr ein gemeinsames Singen mit ihren Schülern und Schülern vom GRG. "Da wurde deutlich, wie unsicher und ängstlich die unterschiedlichen Kinder im Umgang miteinander sind", sagt Bahner. So sei die Idee zu einem Inklusionsprojekt gekommen, denn bei Menschen mit Behinderung sei es ja oft genau so. Die Siebtklässler sollten selbst die Erfahrung machen, was es bedeutet, eine Behinderung zu haben und wie man dann als Außenstehender damit umgehen könne.

Margit Quell sitzt seit ihrem zwölften Lebensjahr im Rollstuhl. Die Krankheit "Kinderlähmung" nahm ihr die Fähigkeit zu laufen. Den Lebensmut hat ihr das aber keineswegs genommen. "Entweder damit leben oder Sterben, mehr Möglichkeiten hat man ja nicht", so Quell. Und sie hat sich definitiv für Leben entschieden, das merkt man ihr an. Enthusiastisch und energisch fordert sie die Ersten auf, sich in die fünf Rollstühle zu setzen. Dann brauche man dazu noch eine "Fußi", eine Person, die mit dem Rollstuhlfahrer dann tanzt, erklärt sie. Dann zeigt sie den Jugendlichen mit ihrer Tanzpartnerin Sylvia, wie man so Rock 'n' Roll oder Walzer tanzt, fast wie in einem ganz normalen Tanzkurs eben. Die Schüler sehen ein wenig unbeholfen aus, haben aber sichtlich Spaß. Es sei lustig, aber auch eine gute Erfahrung, so ein Junge.

Während die einen in der Turnhalle den Rollstuhltanz üben, lernt ein anderer Teil das Schicksal von Traudi Hörburger kennen. Die 66-jährige ist mit 29 Jahren aufgrund eines genetisch bedingten Tumors spätertaubt. Ihr Sohn Martin, der als Gebärdensprach-Dolmetscher mitgekommen ist, erklärt, dass Taube meist sprechen können, wie auch seine Mutter, während Gehörlose von Geburt an nicht hören können und daher auch nicht zu sprechen gelernt haben. Die Kinder hören gebannt zu, in manchen Gesichtern zeigt sich die Betroffenheit. Man muss genau zuhören, um Hörburger zu verstehen, denn neben der Taubheit ist sie auch von einer beidseitigen Gesichtslähmung, die die Aussprache erschwert, einem Gleichgewichtsausfall und einer Sehbehinderung betroffen. Trotz ihrer Behinderungen sei sie aber sehr aktiv, so Sohn Martin, während er in Gebärdensprache seiner Mutter erklärt, was er den Schülern erzählt. Auch im Alltag komme sie mithilfe der modernen Technik sehr gut zurecht, SMS und Email würden es ihr sehr erleichtern. Und der Wecker leuchte dann eben anstatt zu läuten.

Im Schulaufgabenraum irren derweil andere Siebtklässler mit Brillen auf dem Kopf, mit den man nur zehn Prozent seiner eigentlichen Sehkraft hat, und Blindenstock durch den Raum. Eine Freundin habe ihren Blindenstock mal als ihr Stielauge bezeichnet, erzählt Sofie Lex. Die 40-jährige Kirchenmusikerin ist seit ihren Geburt blind, weil sie zu früh geboren wurde. "Ich empfinde das Blindsein natürlich als Behinderung, aber ich habe mich damit arrangiert". Die Kinder zeigen sich sehr interessiert und stellen einige ungewöhnliche Fragen. Ein Mädchen will wissen, wie Lex träumt. "Ich träume genauso, wie ich auch jetzt lebe, ich sehe also keine Bilder, sondern höre nur", erklärt ihr Lex. Es sei komisch, nichts oder wenig zu sehen, findet eine Schülerin, aber es auszuprobieren sei auch witzig. Im Vortrag über Autismus lernen die Schüler, dass autistischen Menschen banale Dinge wie Kontakt aufzunehmen, sich auf ungewohnte Situationen einzustellen oder Spaß zu haben, schwer fallen. Die meisten der Jugendlichen können sich trotz der Infos kaum vorstellen, wie ein Autist denkt. Insgesamt machen die Schüler begeistert bei den Workshops mit und gewinnen so einen wertvollen Einblick, wenngleich sie auch die Erfahrung des Rollstuhlfahrens zudem auch noch lustig finden - das mit einer Behinderung tun zu müssen, ist nochmal was anderes.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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