In wenigen Wochen geht es mit Salat los:Bio-Gemüse für München

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Auf einem ehemaligen Baumschulgelände in Oberschweinbach will das genossenschaftliche Kartoffelkombinat ein Gegenmodell zur Industrieproduktion aufbauen

Von Erich C. Setzwein

Die einen halten München für den Nabel der Welt, die anderen sagen: "München ist ein Dorf." Die "anderen", das sind die Mitglieder des Kartoffelkombinats München, einer Genossenschaft mit nahezu 1100 Mitgliedern in München und Umgebung. Doch in ihrem eigenen "Dorf", das Mitgründer Daniel Überall beschreibt, kann die Genossenschaft das, was die Mitglieder Tag für Tag an Gemüse verzehren, nicht anbauen. Deshalb haben sich die Gärtner im Brucker Land umgesehen und in Oberschweinbach eine zum Verkauf stehende Baumschule entdeckt. Seit einigen Wochen sind Gärtner und Helfer dabei, die insgesamt zur Verfügung stehenden 18 Hektar Anbaufläche nach und nach herzurichten, um das von den Genossen in München erwartete Gemüse auch anbauen zu können. Und zwar schon bald in Bio-Qualität mit Naturland-Label.

Gärtner in der Stadt Puchheim, dieses Jahr auch in Eichenau, die Sonnenäcker der Solidargemeinschaft Unser Land, Hochbeete auf dem Mietwohnungsbalkon und neue Beete in den Schrebergärten: Immer mehr Menschen wollen ihr eigenes Gemüse ziehen, sie halten Hühner für die täglichen Frühstückseier, und wer das alles nicht kann oder will, schließt sich einer Genossenschaft wie dem Kartoffelkombinat an. Selbst in Gröbenzell werden Mitglieder einmal pro Woche beliefert, wie Daniel Überall erzählt. Überall ist Vorstandsmitglied und Sprecher des Kombinats, das sich vor fünf Jahren gegründet hat mit dem Ziel, eine Bio-Gärtnerei zu betreiben und eine alternative Versorgungsstruktur in München aufzubauen. Eine klare Entscheidung für Bio-Gemüse, ein "Gegenmodell zur seelenlosen Industrieproduktion", wie es im aktuellen Faltblatt heißt.

Nun also beseeltes Gärtnern in Oberschweinbach? Überall, 39 Jahre alt, ist rhetorisch beschlagen genug, um solche Fragen ganz nüchtern zu parieren. Es gehe darum, sich seiner Verantwortung für die Umwelt bewusst zu sein und danach auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu handeln. Der Genossenschaftsvorstand spricht dabei von der solidarischen Landwirtschaft. Kartoffeln und anderes Gemüse anzubauen ist nicht das erste Projekt dieser Art für die Stadtmenschen. 2011 startete der studierte Kommunikationswirt Überall die Initiative Stadtimker, damit in München wieder mehr Bienen unterwegs sind, im selben Jahr kam es zur Gründung des Kartoffelkombinats und den ersten Anbauversuchen in einer Biogärtnerei in München-Eschenried.

Nach zwei Jahren und nun um einige Hundert Mitglieder gewachsen, wechselte das Kombinat über die Stadtgrenze in den Landkreis Dachau und pachtete die Biogärtnerei in Schönbrunn. Dort waren die Mitarbeiter behinderte Menschen, eine offenbar bereichernde Erfahrung für die alternativen Gärtner. "Wir haben gegenseitig profitiert", sagt Überall über die Zeit im Kreis Dachau. Doch der Wunsch, auf längere Sicht in Schönbrunn zu bleiben, zerschlug sich, als bei den Gesprächen über die Höhe der Pacht und die Bedingungen keine Einigkeit erzielt werden konnte. Außerdem seien Planungen im Hintergrund gelaufen, von denen man zunächst nichts gewusst habe. Also zog das Kombinat seine Konsequenzen und machte sich erneut auf die Suche nach einem Standort.

In Oberschweinbach wurde die Genossenschaft im vergangenen Jahr dann fündig, weil dort die Familie Würstle ihren Baumschulbetrieb schloss. Sieben Hektar standen zum Verkauf und die Option, weitere elf Hektar Anbaufläche dazu pachten zu können, waren die das Kartoffelkombinat so attraktiv, dass es die Baumschule erwarb. Das erste Gemüse, das in wenigen Wochen von dort ausgeliefert werden könne, werde Salat sein, kündigt Überall an.

Nicht die gesamte Produktpalette kam und kommt nicht aus dem eigenen Betrieb. Kleine Betriebe, die sich dem Ökoanbau verschrieben haben, bauen Gemüse an, um die wöchentliche Ration für die 1100 Haushalte zu ergänzen. Dass sich die Genossenschaft an Handelsklassen halten muss und deshalb auch krumm gewachsene Gurken oder Zwillingsmöhren in den Kisten landen, hat laut Überall damit zu tun, dass die Ware nicht verkauft wird. "Sie wird intern verteilt. Die Mitglieder holen sich die Kisten selbst an den 60 Verteilpunkten ab, das macht den großen Unterschied aus." Zu den Lieferdiensten etwa, die Gemüsekisten im Abonnement liefern und selbst meist nicht über eigene Anbauflächen verfügen. Das gute Gewissen kommt also mit dem Verzehr, denn der allergrößte Teil des Anbaus soll verwertet werden. So sollen Überproduktion und Lebensmittelvernichtung verhindert werden.

Die Zahl der Genossenschaftsanteile steige, sagt Vorstandsmitglied Überall. Für mindestens 150 Euro bekomme man seinen Anteil, werde Miteigentümer und gleichzeitig auch Kunde des Kartoffelkombinats. Dazu komme der monatliche Beitrag für den Anbau, die Löhne und die Logistik von derzeit 68 Euro. Dafür gebe es pro Woche etwa fünfeinhalb Kilo Gemüse. "Für einen Zwei-Personen-Haushalt reicht das, sind es aber Veganer, haben sie die Kiste in zwei Tagen leer." Und noch eine Berechnung Überalls: In den 1100 Haushalten leben 2500 Menschen, die von dem regional produzierten Gemüse profitieren. In Kürze wird die monatliche Pauschale allerdings steigen, aber darauf sind die Mitglieder schon vorbereitet. Denn der Kauf der Gärtnerei in Oberschweinbach muss umgelegt werden. Überall ist aber überzeugt davon, dass in drei bis vier Jahren der Beitrag wieder auf 70 Euro gesenkt werden kann, weil sich die Zahl der Haushalte erhöhen werde.

46 Mal im Jahr werden die Gemüsekisten aus Oberschweinbach in die Landeshauptstadt geliefert werden, und 22 Angestellte werden sich zusammen mit Gärtnermeister Benni Schöpf darum kümmern, dass eine möglichst große Vielfalt an Biogemüse gezüchtet wird. Dass Schöpf ab und zu auch mal mehr Mitarbeiter haben wird, hat damit zu tun, dass die Kunden des Kombinats in Oberschweinbach mithelfen dürfen. Das hat nach Überzeugung Überalls auch viel mit dem wichtigen Gedanken der Transparenz zu tun, der in einer solidarischen Landwirtschaft gelebt werde. Zu sehen, wo alles herkommt und wie alles mit allem zusammenhängt.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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