Im Landkreis:Schaden für Demokratie und Parlament

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Wahlkreisabgeordnete ärgern sich über die Selbstbedienungsmentalität einiger ihrer Kollegen in der Masken-Affäre. Sie erklären, keine Nebentätigkeiten auszuüben. Dafür bleibe auch gar keine Zeit, wenn man das Bundestagsmandat ernst nehme

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Ausgerechnet an der Beschaffung von Masken, die vor dem Corona-Virus schützen sollen, haben Abgeordnete der Union viel Geld verdient. Die Selbstbedienungsmentalität in der Pandemie hat große Empörung ausgelöst. Viele fragten sich, wie sich die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten zeitlich mit gut bezahlten Nebeneinkünften vereinbaren lasse. Die Unions-Fraktion im Bundestag erarbeitet nun einen Verhaltenskodex, und am Donnerstagabend sollte ein Transparenz-Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters beschlossen werden. Die SZ hat dazu die örtlichen Bundestagsabgeordneten befragt. Alle bis auf den AfD-Abgeordneten Martin Hebner antworteten selbst.

Katrin Staffler

"Ich habe mich bewusst entschieden, mich ausschließlich auf die Arbeit als Bundestagsabgeordnete zu fokussieren. Daher gehe ich neben dem Abgeordneten-Mandat und dem Amt als Kreisrätin im Landkreis Fürstenfeldbruck keiner Nebentätigkeit nach und habe demzufolge auch keine entsprechenden Einkünfte. Als Kreisrätin erhalte ich eine pauschale Aufwandsentschädigung von 50 Euro pro Monat sowie ein Sitzungsgeld von ebenfalls 50 Euro pro Sitzung, an der ich teilgenommen habe. Folgende Ämter übe ich ausschließlich ehrenamtlich aus: Mitglied im Vorstand der Europäischen Bewegung Deutschland, Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der Europaunion, Vorsitzende der CSU im Landkreis Fürstenfeldbruck, Vorsitzende der Bundeswahlkreiskonferenz DAH/FFB.

Als Reaktion auf das Fehlverhalten einzelner Abgeordneter hat die CSU umgehend ein konkretes Maßnahmenpaket beschlossen. Unter anderem werden Nebentätigkeiten von Abgeordneten offengelegt und strikt begrenzt. Auch die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wird die Transparenzvorschriften deutlich verschärfen. Diese Maßnahmen sind sinnvoll und notwendig. Ich werde sie daher voll und ganz mittragen und unterstützen. Im Sinne des Transparenz-Gedankens wird es künftig auf meiner Homepage eine entsprechende Rubrik geben, auf der ich alle meine Einkünfte offenlege."

Michael Kießling

Michael Kießling, 47, CSU, vertritt den Wahlkreis Starnberg-Landsberg, zu dem Germering gehört. Er ist Bauingenieur und war bei der Nemetschek-AG tätig. (Foto: Stella von Saldern/oh)

"Als Abgeordnete setzen wir uns mit viel Engagement für die Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen und Selbständige aus unseren Wahlkreisen ein, vor allem in einer angespannten Lage, wie wir sie seit einem Jahr erleben. Dieses Engagement ist wesentlicher Bestandteil unserer Tätigkeit als Abgeordnete. Mit dem Fehlverhalten Einzelner wird unsere Arbeit zusehends beschädigt. Das dürfen wir als Abgeordnete nicht hinnehmen und deshalb versuchen wir alles, um aufzuklären und volle Transparenz herzustellen. Dafür haben wir einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, um die Regelungen zu Nebentätigkeiten und Transparenzpflichten deutlich zu verschärfen. Wir wollen, dass sich solche Fälle in Zukunft nicht mehr ereignen. Deswegen geben wir uns als Unions-Fraktion einen Verhaltenskodex, der weit über die rechtlichen Vorschriften hinausgeht und mit klaren Anforderungs- und Sanktionsmechanismen verbunden wird. Diese schärfere Gangart innerhalb der Unionsfraktion, aber auch innerhalb der CSU finde ich richtig und konsequent!

Ich selbst bin lediglich ehrenamtlich tätig. Mein Fokus liegt auf dem Engagement für die Bürger meines Wahlkreises. Aus diesem Grund würde mir Zeit fehlen für eine Nebenbeschäftigung. Ausschlaggebend für die Dauer der Verhandlungen zum Lobbyregister war, dass die SPD keine einheitliche Linie bei der Ausgestaltung des Registers fand und damit die eigentlich für Ende Oktober vorgesehene Verabschiedung des Lobbyregisters verhinderte. Dabei war uns von Anfang an wichtig, dass sich zum Beispiel auch die Aufnahme von NGOs im Register wiederfindet. Darauf konnten wir uns nun unter anderem in dem vorliegenden Gesetz einigen, das einen Meilenstein für mehr Transparenz bildet."

Michael Schrodi

"Es ärgert mich maßlos, was da passiert ist. Wie jemand eine Nebentätigkeit haben kann, bei der er Hunderttausende verdient, ist mir schleierhaft. Selbst habe ich keine Nebeneinkünfte. Für das Kreistagsmandat erhalte ich unter tausend Euro pro Jahr als Aufwandsentschädigung, und selbst das ist terminlich schwierig auszufüllen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man weitere Tätigkeiten mit dem Bundestagsmandat unter einen Hut bringen soll. Man hat im Parlament und im Wahlkreis so viel zu tun. Nebentätigkeiten führen zu Zeit- und Interessenskonflikten. Dieses Verhalten schadet der Demokratie insgesamt, weil viele Leute nicht differenzieren und nicht sehen, dass der größte Teil der Abgeordneten seine Arbeit mit 80 bis 90 Stunden pro Woche sehr ernst nimmt. Dass man mit der Pandemie Kasse macht, das ist das Verwerflichste überhaupt, das ist unverzeihlich und schadet der Demokratie und dem Ansehen jedes einzelnen Abgeordneten. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass die Menschen der Union nicht mehr vertrauen. Wir brauchen ein wirksames Lobby-Gesetz, das auch den "exekutiven Fußabdruck" zeigt, also die Lobbyarbeit gegenüber den Ministerien, in denen viele Gesetzestexte geschrieben werden. Das ist viel lukrativer als Lobby-Arbeit im Parlament. In manchen Gesetzen stehen ganze Passagen, die von Lobbyisten übernommen wurden."

Beate Walter-Rosenheimer

"Wir alle sind entsetzt, denke ich, über das, was da so auftaucht und welche Mentalität sich bei der Union zeigt. Diese Vorkommnisse und Vorwürfe setzen dem Vertrauen der Bürger an ihre parlamentarischen Vertreter massiv zu und schädigen ganz allgemein das Ansehen von Politikern. Diese Affäre hat Vertrauen zerstört. Es gibt einfach diesen Nebengeschmack: Die Lage ist schlimm, Grundrechte seit über einem Jahr eingeschränkt, Menschen in Angst um die eigene Gesundheit oder die nahestehender Menschen, viele Menschen sind gestorben. Vieles läuft von Regierungsseite nicht gut. Und an dieser Not bereichern sich dann gewählte Abgeordnete... Ich selbst bin auch sehr verärgert über diese "Selbstbedienungspolitik" einzelner CSU-Politiker. Wir brauchen dringend klarere gesetzliche Regeln. Wir Grüne wollen ein Lobby-Register einführen, das seinen Namen auch verdient, damit für alle Bürger klar und einsehbar ist, wer wo Einfluss nimmt. Das ist längst überfällig. Was die Groko jetzt - unter Druck - vorgelegt hat, ist uns zu lasch. Ich fordere, dass künftig Nebeneinkünfte von Abgeordneten auf Euro und Cent veröffentlicht werden. Denn ich will eine politische Kultur, die das Vertrauen in Politik stärkt. Ansonsten - und da mache ich mir wirklich Sorgen - wird Tür und Tor für populistische "Verunglimpfungsstrategien" gegen alle Politiker geöffnet. Ich selbst habe keinerlei Einkünfte neben meinen Einkünften als MdB. Meiner Meinung nach bleibt auch wenig Zeit für eine Nebenbeschäftigung, wenn man sein Mandat engagiert ausübt. Die etwa zwei Sitzungswochen pro Monat sind vollgepackt, da sprechen wir von 60 bis 70 Stunden pro Woche. In den Wahlkreiswochen, also den sitzungsfreien Wochen, reden wir von mindestens einer 40 Stunden-Woche, je nach Engagement der jeweiligen Abgeordneten. Ich arbeite hin und wieder ehrenamtlich als Psychologin, zum Beispiel zu Beginn des Lockdowns in der Corona-Hotline des Bunds Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Dieses ehrenamtliche Engagement geht zu Lasten der Freizeit, wie bei allen anderen Menschen auch."

Martin Hebner

Hebners Büroleiterin Martina Böswald schreibt zunächst ausführlich über die Rolle der Presse für die Transparenz. Zur Sache kommt schließlich genau ein Satz: "Als Büroleitung des Herrn Martin Hebner teile ich Ihnen mit, dass Herr Hebner keinerlei Nebeneinkünfte aus irgendeinem Zusammenhang mit seinem Mandat am Bundestag hat oder je hatte."

© SZ vom 26.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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