Gröbenzell:Stinkefinger für das Altern

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Wer sich nach diesem Abend mit Sissi Perlinger im Stockwerk noch frustriert seiner Altersdepression hingibt, dem ist nicht mehr zu helfen. (Foto: Günther Reger)

Mit viel Witz und Selbstironie nimmt sich Sissi Perliner des Jugend- und Optimierungswahns an. Bei ihren Ratschlägen zu einem glücklichen Eintritt in die letzte Lebensphase wird sie auch immer wieder philosophisch

Von Edith Schmied, Gröbenzell

Wer sich nach diesem Abend mit Sissi Perlinger im Stockwerk noch frustriert seiner Altersdepression hingibt, dem ist nicht mehr zu helfen. In ihrem neuesten Soloprogramm "ich bleib dann mal jung", zeigt die vielseitige Kabarettistin dem Alter den Stinkefinger. Alt werden ist nichts für Feiglinge, sondern für die Kabarettistin die Chance, mit spielerischer Leichtigkeit und unglaublicher Wandlungsfähigkeit alle Unannehmlichkeiten aufs Korn zu nehmen. Das tut sie ausgiebig. Wie ein wirbelnder Derwisch fegt sie im Leoparden Jump-Suit über die Bühne, springt von einer schrägen Rolle zum nächsten aberwitzigen Typen. Nichts kann sie erschrecken. Weder der Rollator im Leopardenprint, - mit plüschigen roten Fransen sieht der ja auch richtig cool aus -, noch das Altersheim "Trübsal an der Windel". Das funktioniert sie einfach in "Glückshausen an der Juchhe" um. "Länger jung, schöner alt", lautet ihre Devisen. "Lieber reich ins Heim als heim ins Reich", ein weiteres Rezept.

Dieses herzerfrischende Gegen-den-Strom-Schwimmen setzt das Multitalent mit viel Witz und Selbstironie um. Es ist das Erfolgsrezept der ausgebildeten Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin. Ihre Gesangseinlagen sind ein weiteres Highlight. Ihre Lieder zur Gitarre pendeln zwischen leisen und rockigen, fetzigen Tönen. Perlinger peitscht ihre Stimme gekonnt in schwindelnde Höhen der Koloraturen.

Herrlich respektlos begegnet sie dem Jugend- und Optimierungswahn. Botox Schwimmreifenlippen und Schnabeltasse sind halt schwer kompatibel. Wenn schon Altern, dann kindgerecht. Im Klartext bedeutet das Narrenfreiheit bis zum Abwinken. Das zeigt sich explizit beim Bewohnercasting für die Alten-WG "Hotel Inkontinental". Der sabbernde Macho, "ich vögel alles, was bei drei nicht im Sarg ist", die Stimmungskanone mit einem Hang zu derben Scherzen, das sind Typen, die einem eher das Gruseln lehren. Doch Sissi Perlinger mit ihrem umwerfend direkten Charme nimmt solchen Szenen die Peinlichkeit und hat die Lacher auf ihre Seite. Nur wer, wie sie, selbst knietief in den Fünfzigern steckt, kann das Ende des "zyklisch auftretenden Wahnsinns" innerhalb des hormonellen Karussells so überzeugend spielen. Als Göttin Menstrualia entdeckt sie auch in diesem Lebensabschnitt positive Aspekte. Was für eine Freiheit, die Verhütung hat ausgedient, ebenso das umständliche Einsetzen eines Diaphragmas. Die anschauliche Demonstration dieses komplizierten Vorgangs empfinden selbst männliche Zuhörer keineswegs als un- angenehm, sondern einfach saukomisch.

Eine brave, nette Oma, das ist das Letzte, was Sissi Perlinger sein will. Lieber lässt sie es richtig krachen. Zum Beispiel bei ihrer hinreißenden Ganzkörper Percussion Nummer. Nur so kann man offensichtlich den üblichen Wehwechen des Alters, Perlinger interpretiert sie als körperliche Metamorphose, ein Schnippchen schlagen. Ein Knarzen, Quietschen und Rumpeln ertönt da aus allen Gelenken und Körperteilen, sodass man unwillkürlich das Bedürfnis hat, seine eigene Morbidität und Mobilität zu überprüfen.

Bei allem Klamauk und temperamentvoller Performance Sissi Perlinger will nicht nur Rampensau und Bühnenclown sein. Die Frage, "jung oder alt", wird zur Nebensache und verändert ihre Dimension im philosophischen Kontext. Entscheidend sei das Glück, findet Sissi Perlinger, "am Schlimmsten ist die Einsamkeit". Eine überraschend verformbare Kugel aus fluoreszierenden Drähten wird zur poetischen Metapher. Ganz eng zusammengedrückt ist sie das Symbol der Engstirnigkeit des In-sich-eingesperrt-Seins, weit auseinandergezogen das Universum einer eigenen Welt, die Freiheit und Offenheit verspricht und wohl auch ein gewisses Maß des In-sich-Ruhens. Wer jemals im Publikum die Absicht hatte sich in eine ähnliche Sphäre zu katapultieren, für den hat sich der Abend unbedingt gelohnt. Mit einer Fülle amüsanter Anregungen im Gepäck hat er die besten Voraussetzungen für ein fröhliches Altern, ein entspanntes Ableben und eine super geile Reinkarnation. Mit diesen frommen Wünschen schickt Sissi Perlinger ihr Publikum auf den Heimweg.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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