Gröbenzell:Schuhe binden und ausreden lassen

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Kindern fehle es an Basiskompetenzen, sagt Bettina Betz, Rektorin der Ährenfeldschule. (Foto: Johannes Simon)

Die Gröbenzeller Ährenfeldschule bietet Kindern ein spezielles Förderprogramm

Von Peter Bierl, Gröbenzell

Wenn von bildungsfernen Gruppen die Rede ist, sind damit meist ausgesprochen oder unausgesprochen Unterschichten und Migranten gemeint. Mitunter ist aber auch der Nachwuchs der akademischen Mittelschicht schlecht auf den Ernst des Lebens vorbereitet. Das erleben Lehrerinnen an der Ährenfeldgrundschule in Gröbenzell immer wieder. Rektorin Bettina Betz sieht einen "Nachholbedarf" bei Basiskompetenzen. Dafür haben die Lehrerinnen ein spezielles Förderprogramm unter dem Titel "Basics 1/2" für die erste und zweite Jahrgangsstufe ausgearbeitet.

Die Ährenfeldschule liegt in der Nähe des Bahnhofs im Zentrum von Gröbenzell und wird von mehr als 300 Grundschülern besucht. Über die Jahre hinweg haben die Pädagoginnen beobachtet, dass sich immer mehr Kinder nur schlecht konzentrieren. Sie können sich nicht altersgemäß ausdrücken oder keine Schleifen an den Schuhen binden. Manche können mit Schere und Kleber nicht richtig umgehen oder halten Stifte verkehrt. Wenn es Streit in den Pausen gibt, brauchen die Lehrerinnen danach im Unterricht viel Zeit, um die Vorfälle zu klären und die Gemüter wieder zu beruhigen.

Was die Ursachen betrifft, so betont die Rektorin, sie wolle keine Schuld zuweisen, die Gesellschaft habe sich eben verändert. "Zu Hause wird immer seltener gebastelt und gemalt, die Kinder verbringen viel Zeit vor dem Fernseher oder einem Computer." Statt mit Eltern, Geschwistern und Freunden zu spielen, müssten die Kleinen schon im Kindergartenalter allerlei Kurse etwa in Englisch und Reiten, Ballett oder Geige absolvieren.

Dabei wirkten Schwächen im Bereich der Motorik und Sprache, der Konzentration und des Sozialverhaltens wie ein Malus, den Kinder bis in die vierte Klasse schleppen, sagt Betz. Auch Krippen und Kindergärten könnten kaum abhelfen, wenn dort großen Gruppen zusammenkommen und kaum individuelle Förderung stattfindet. "Besser ist es, wenn ältere Geschwister, die Oma oder die Eltern schauen, wie die Schere oder der Buntstift gehalten wird und die Kinder anleiten", sagt die Rektorin. Auch der Stundenplan der Grundschule wird der Situation nicht gerecht. Erstklässler haben nur eine Stunde Werken und Gestalten in der Woche, sagt die Rektorin, das sei "viel zu wenig".

Das neue Projekt "Basic 1/2" sieht im Regelunterricht individuelle Förderung sowie Arbeit im Klassenverband und in kleinen Gruppen vor. In fünf Doppelstunden beschäftigen sich die Kinder mit Gefühlen wie Freude, Trauer, Angst, Mut und Wut. Sie sollen lernen, was es bedeutet, in einer Gemeinschaft zu leben, oder es werden Gesprächsregeln eingeübt. Diese Stunden werden von externen Trainern geleitet. Zur Vertiefung bieten Lehrerinnen in den Klassen wechselnde soziale Themen einmal im Monat oder in der Woche an. Dazu werden Spiele und Bücher angeschafft. Im Klassenverband oder einzeln sollen Wahrnehmung und Konzentration spielerisch geübt werden. Dafür soll ein Gruppenraum mit Instrumenten und Spielen eingerichtet werden. Vorgesehen sind außerdem eine spezielle Förderung für Feinmotorik und Sprache einzeln und in kleinen Gruppen durch Lehrer und externe Trainer sowie für die Körperwahrnehmung durch Psychomotorik.

Die Kosten für externe Fachkräfte und Materialien werden von der Jugendsozialstiftung Dr. Rieder, vom Rotary Club München-West und dem Förderverein der Schule gesponsert. Die Eltern sollen einen kleinen Beitrag zwischen zehn und 20 Euro beisteuern, sagte Betz.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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