Gröbenzell:Schreiben gegen die Einsamkeit

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VHS-Kurs lehrt, wie man die Angst vor dem weißen Blatt überwindet

Von Florian J. Haamann, Gröbenzell

Es ist Frühling und ich bin allein. Ein erster Satz, der in diesem Jahr für viele Menschen ein sehr zutreffender Satz ist. Deshalb passt es gut, wenn die Autorin Sabine Zaplin die Teilnehmerinnen ihres Schreibkurses mit dem Titel "Allein mit dem leeren weißen Blatt - Schreiben gegen die Einsamkeit" bittet, damit zu arbeiten. Fünf Frauen haben sich an diesem Abend über Zoom zum virtuellen VHS-Kurs versammelt. Nun also hat Zaplin ihnen die Aufgabe gestellt, einen zweiten Satz zu dem oben erwähnten zu verfassen. Über die Kameras lässt sich sehen, wie es in ihren Köpfen arbeitet, die ersten beginnen schon zu tippen.

"Das fühlt sich gut an. Ich freue mich auf meinen Garten, genieße die gute, frische Luft, das frische Grün, die Vogelstimmen - sonst ist alles um mich herum ganz still", ploppt der Satz von Teilnehmerin Ursula Menke im Chat auf. Die 79-Jährige war mehrere Jahrzehnte lang Ärztin in Gröbenzell. Nun überlegt sie, ob sie, nur für sich selbst, manche der schönen und auch traurigen Geschichten, die sie in dieser Zeit erlebt hat, aufschreiben soll. Weil sie bisher aber keine Schreiberfahrung hat, nimmt sie an dem Kurs teil. "Ich bin ja noch aus der Kriegsgeneration. In den letzten Monaten habe ich viele Filme dazu im Fernsehen gesehen. Das weckt auch bei mir Erinnerungen. Damit möchte ich mich befassen", sagt sie.

Und so hat jede Teilnehmerin ihre ganz eigene Motivation. "Ich versuche seit zwei Jahren, über meinen Mann zu schreiben, weil er ein sehr interessantes Leben hatte. Aber das ist sehr umfangreich und ich stecke etwas fest", erzählt die 58-jährige Madelaine Wieser, die als Mediatorin und Trauerrednerin arbeitet. "Da muss ich ja auch viel schreiben". Mögen das auch traurige Texte ein. "Aber man lernt trotzdem, eine Geschichte über einen Menschen zu schreiben". Ihre Erweiterung des Einstiegssatzes fällt philosophisch aus: "Wen wird es geben, der meine Gefühle bemerkt?"

Kursleiterin Zaplin, die als Literaturkritikerin arbeitet und Romane schreibt, ist mit ihren Teilnehmerinnen zufrieden. "Sie gehen fast alle nach draußen, das finde ich schön. Jetzt machen wir etwas, mit dem wir den Chat an seine Grenzen kommen lassen", kündigt sie die nächste Übung an: Miteinander einen Text schreiben, jede einen Satz, eine nach der anderen. Den Anfang macht Wieser. "Zwei Jahre gingen nun ins Land, wieder ist es Frühling, Liebe schreit mein Herz, Tulpen soll es regnen." "Da steckt ja schon einiges drin an Informationen. Eine Zeitangabe, ein Wunsch, ein Ich", analysiert Zaplin. Die Geschichte entwickelt sich zum gedanklichen Aufbruch, endet mit der Frage, ob das "Ich" nicht eine Reise machen sollte, um den Kopf frei zu kriegen.

Durch die spielerischen Übungen lernen die Teilnehmerinnen, dass es sinnvoll ist, einfach mal etwas aufzuschreiben und so die Angst vor dem weißen Blatt abzulegen. Aber das ist im wahrsten Sinne des Wortes nur der Anfang. Viermal wird sich die Gruppe insgesamt treffen. Beim zweiten Mal, erklärt Zaplin, soll es um die Beobachtungs- und Wahrnehmungsschulung gehen, ums Fokussieren auf das, was erzählt werden soll. Beim dritten Termin lernen die Teilnehmerinnen dann, wie sie Figuren entwickeln, der Gesichte einen Spannungsbogen verleihen. Zum Abschluss dann sollen alle Inhalte zusammengebracht werden. Ziel sei es, dass am Ende jede Teilnehmerin eine eigene Geschichte geschrieben hat, zu der es natürlich ausführliches Feedback gibt. Damit das gelingt, gibt es zum Ende der Stunde noch eine freiwillige Hausaufgabe. Zehn Sätze soll jeder schreiben. Allerdings nicht aus der Ich-Perspektive. "Schreiben Sie von außen über eine Person am Schreibtisch, die vor dem weißen Blatt sitzt und es nicht schafft anzufangen. Vielleicht erzählen Sie, was sie daran hindert", sagt Zaplin. Die Teilnehmerinnen schreiben alle fleißig mit. Sie wirken nach der ersten Stunde ausnahmslos so motiviert und mitgerissen, dass sie ihre Hausaufgabe ganz sicher freiwillig erledigen werden.

© SZ vom 13.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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