Gröbenzell:Olga in der Sonnenblumen-Gruppe

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Die gehörlose Olga Eichwald arbeitet als Pädagogin in einer Kita und verständigt sich mit den Kleinen über Laute und in Gebärdensprache. Ihre Stelle hat sie dank des Angebots "Dein Job-Finder" für Menschen mit Behinderung gefunden

Von Kim Fischer, Gröbenzell

/Pöcking - Olga Eichwald sitzt auf einem bunten Spielteppich, vor ihr ein Einjähriger, der sie aus großen Augen ansieht. Sie hält ein Bilderbuch in die Höhe und macht mit ihren Händen einen der abgebildeten Vögel nach, dabei spricht sie in Lautsprache. Der Einjährige versteht sie und fängt fröhlich an zu lachen.

Olga Eichwald ist gehörlos und arbeitet in der Sonnenblumen-Gruppe der Kinderkrippe "Blumengarten" in Gröbenzell, deren Träger die Fortschritt gGmbH ist. Gefunden hat sie die Stelle durch den Dienst "Dein Job-Finder" des Vereins aus Pöcking. Das kostenfreie Angebot richtet sich an Menschen mit Behinderung und an Arbeitgeber. Die beiden studierten Psychologinnen Ekaterina Schramm und Helen Groß kümmern sich von der Beratung bis zur Vermittlung um die Klienten. "Die Vermittlungsquote ist hier aber nicht die Erfolgsquote", sagt Schramm. Es sei schon ein Erfolg, wenn den Menschen bei anderen Angelegenheiten wie Wohnungssuche und Privatem geholfen werden könne und sie jemanden zum Reden haben. Das Angebot existiert seit November 2020 und die Vermittlung dauert teilweise mehrere Monate. Bisher haben sie 13 Klienten gehabt, drei davon seien in Betriebe vermittelt worden.

Eine davon ist Olga Eichwald. Die gebürtige Ukrainerin ist im Alter von vier Jahren nach Deutschland gekommen und seit der Geburt gehörlos. Ihre hörenden Eltern wussten nicht, woran es lag, erzählt Olga. Am Anfang haben sie es auch nicht gemerkt, nur irgendwann war es komisch, dass das Kleinkind sich nie für zuschlagende Türen oder die Klingel interessierte. Einmal, als Freunde zu Besuch kamen, haben sie einen Wecker genommen und ihn hinter Olga aufgestellt. Als er los schrillte und sie nicht reagierte, wussten sie mit Sicherheit, dass da etwas nicht stimme, sagt die 36-Jährige.

Die Kinder in der Krippe lieben Seifenblasen - vor allem einer der Jungen, der ganz begeistert versucht, die Seifenblasen aufzufangen, die Olga in die Luft pustet. "Möchtest du auch?", fragt Olga ihn in Lautsprache. Der Junge nickt und Olga hält ihm den Stab mit Seifenlauge vor seinen Mund. Schillernde Blasen fliegen in die Luft. Auch mit den Kolleginnen kann sie sich gut verständigen. Sie müssen Augenkontakt herstellen, zur Not ihr auch auf die Schulter tippen. Dann kann Olga von den Lippen lesen und in Lautsprache oder mit Mimik antworten. Denn nur weil eine Person gehörlos ist, heißt es nicht, dass sie stumm ist. Manchmal gebe es natürlich Missverständnisse, aber die gebe es auch unter hörenden Menschen.

Olga Eichwald bringt mit ihrer geduldigen Art Ruhe in den Trubel des Krippenalltags. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die hochgradig schwerhörige Frau ist mit vier Jahren nach Deutschland gekommen und hat Laut- und Gebärdensprache auch auf Deutsch gelernt. Nach dem Abitur an einer Gehörlosenschule in Essen studierte sie an einer Fachhochschule in Köln Pädagogik für Kinder und Familienbildung. Ein Dolmetscher begleitete sie die Jahre dabei, anders wäre es nicht möglich gewesen.

Danach hat sie eine Zeit lang in Heilbronn gearbeitet, ihren Freund kennengelernt und wurde mit ihrem ersten Kind schwanger. Später zogen sie nach München und wohnen nun in Gröbenzell, wo Olga arbeitet. Ihr Mann ist ebenfalls gehörlos, somit sind beide Kinder "Codas" - für: Children of deaf adults, also Kinder Gehörloser -, die bilingual groß werden. "Sie wachsen in der hörenden und der gehörlosen Welt auf", erzählt Olga. "Das macht sie besonders. Sie sind sehr visuell aktiv, neugierig und beobachten viel."

Was sie an ihrer Arbeit am meisten liebt? "Basteln!", sagt sie in Gebärdensprache und lacht. Das stimme, bestätigt Peggy Riehmann, die Leiterin der Kinderkrippe. Die Arbeit mit Olga klappe sehr gut. Die Entscheidung sie einzustellen habe sie am Anfang mit dem Krippen-Team abgesprochen, die Kolleginnen arbeiten schließlich direkt mit ihr zusammen. "Man muss die Person einfach kennenlernen und sehen, ob's passt." Auch die Zusammenarbeit mit Ekaterina Schramm und Helen Groß von "Dein Job-Finder" klappe gut, das erleichtere vieles. "Olga bringt automatisch Entschleunigung ins Team, sie ist so tiefenentspannt", sagt Riehmann.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es Ende 2019 in Deutschland 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung, also einem Grad der Behinderung von mehr als 50. Die Rehadat-Statistik des Institutes der Deutschen Wirtschaft untersuchte unter anderem die Beschäftigungsquote von Menschen mit Schwerbehinderung: Diese betrug 4,6 Prozent, also unter den gesetzlich vorgeschriebenen fünf Prozent. Kathrin Grabmaier von der Arbeitsagentur in Weilheim sieht auch für den Landkreis Starnberg Bedarf an Unterstützungsangeboten für das Thema Inklusion. "Menschen mit Behinderung haben es einfach schwer auf dem Arbeitsmarkt, das ist leider überall so."

Hier setzt der Dienst "Dein Job-Finder" an. Am Anfang war er nur für den Landkreis Starnberg gedacht, mittlerweile haben sie auch Klienten vom Staffelsee oder aus Garmisch-Partenkirchen, erzählt Ekaterina Schramm. Das zeige den hohen Bedarf an der angebotenen Unterstützung. Finanziert würde das Programm durch die "Aktion Mensch", die nach der Einreichung und Überprüfung des Konzeptes, 300 000 Euro auf fünf Jahre verteilt zugesagt haben. Für Schramm ist die Geschichte von Olga in der Kinderkrippe ihre persönliche Erfolgsgeschichte.

Für ihre Kollegin Helen Groß ist es eine Frau aus Wolfratshausen, die sie in eine Zahnarztpraxis vermittelte. Die Branchen seien ganz unterschiedlich und der Dienst sehr individuell ausgerichtet. Groß, die selbst im Rollstuhl sitzt, betont, dass Menschen mit Behinderung für Arbeitgeber eine große Bereicherung sind. "Je mehr man sich mit Menschen, die andere Hintergründe haben als man selbst, beschäftigt, je mehr lernt man dazu. Besonders auf Mitarbeiterebene ist das sehr wertvoll." Es gebe viele Arbeitgeber, die interessiert seien, aber manche, die das noch nicht erkannt hätten. "Bis Inklusion wirklich überall angekommen ist, ist es noch ein langer Weg."

© SZ vom 08.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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