Gröbenzell:Klangzauberer auf der Orgel

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Kalevi Kiviniemi durchquert im Stockwerk die Musikgeschichte

Von Klaus Mohr, Gröbenzell

Wer von einer "Orgel im Bürocenter" hört, ist vielleicht nicht sofort begeistert. Die Vorstellung, dass ein solch erhabenes Instrument weder in einer Kirche noch in einem adäquaten Konzertsaal steht, klingt zunächst befremdlich. Nach Erweiterung und Umbau erklang die Harder-Völkmann-Orgel im Gröbenzeller Stockwerk nun am Freitag zum ersten Mal wieder. Auch wenn das Gebäude an sich als typisch industriell-nüchterner Gebäudekomplex daherkommt, zaubert schon der Eingang eine gewisse elegante Atmosphäre. Im Konzertraum selbst befinden sich die Pfeifen quasi überall, der Zuhörer sitzt also mitten im Geschehen. Die Schlichtheit des Ambientes erfährt durch die großen Glasfronten viel Tageslicht, die Orgelpfeifen strukturieren in gewisser Weise den ganzen Raum. Allein von daher kann man sich vorstellen, dass die Arbeit in einem solchen Bürogebäude nicht nur trocken ist, sondern durchaus auch kreative Potenziale freisetzt.

An diesem Abend stehen die Stuhlreihen ganz dicht, und trotzdem reichen die Plätze kaum aus, um die große Zahl an Musikfreunden aufzunehmen. Der Spieltisch, der wie auf einem Konzertpodium vor den Zuhörern steht, wird von einer überdimensionalen Schreibtischleuchte ins rechte Licht gerückt. Im Vergleich zu den Spieltischen großer Orgeln sieht er eher wie eine Schaltzentrale im S-Bahn-Stellwerk aus, vernachlässigt man die zwei Manuale und das Pedal, die zum Musizieren absolut notwendig sind. Ein drittes Manual enthält die Orgel ohne eigene Klaviatur, eine Besonderheit, die ausschließlich weitere Klangfarben ermöglicht.

Kalevi Kiviniemi, der an diesem Abend die Orgel zum Erklingen bringt, ist zwar Finne, sein Auftritt allerdings hat etwas vom Glamour Hollywoods. Hört man seine eröffnende Improvisation, dann merkt man bereits, dass die Beschreibung Orgel hier deutlich zu kurz greift: Das Klangspektrum erinnert eher an einen Musikautomaten, denn neben zahlreichen Orgelregistern gibt es auch ein Klavier, ein Glockenspiel, ein Marimbaphon und ein Akkordeon. Jedes Instrument birgt für sich schon den Klang eines ganzen Orchesters in sich, doch spannend wird es besonders dann, wenn die einzelnen Klänge in ganz unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert werden.

In einem Stück von Astor Piazzolla kommt ein sehnsuchtsvolles Bandoneon zum Klingen, wobei dieser Klangeindruck durch die sich öffnenden und schließenden Lamellen und die sich daraus ergebenden Lautstärkeunterschiede noch verstärkt wird. Zartes Vibrato verlebendigt zusätzlich den Ton. Das Zirkusambiente in Igor Strawinskys "Russischem Tanz" aus "Petruschka" ist durch den durchdringenden Klang gut getroffen, die Zuhörer sitzen quasi in der Manege. Da der Nachhall fast ganz fehlt, verstärkt sich der perkussive Charakter des Stücks und entfaltet eine fulminante Wirkung. Ein Adagio Mozarts klingt dann ein bisschen wie aus dem elektronischen Himmel, weil sich in den "Cembaloklang" die Glöckchen wie in der Zauberflöte mischen. Eindrucksvoll gerät der Ausschnitt aus der symphonische Dichtung "Finlandia" von Jean Sibelius: Die sehr tiefen Klänge werden nicht nur mit den Ohren hörbar, sondern erfassen den ganzen Körper. Leider macht sich in den Pausen des Stücks die mächtige Luftmaschine, die erforderlich ist, etwas störend bemerkbar.

Christian Stock, der Besitzer von Gebäude und Orgel, mag von manchen Zeitgenossen belächelt werden. Kultur aber lebt von kreativen Köpfen, die Ideen Wirklichkeit werden lassen, die rational nicht unbedingt zu fassen sind. Die Gesellschaft profitiert von so einer Art Geldanlage ganz direkt - und die vielen Besucher zeigen, dass es hier interessante Konzerte abseits aller Schubladen gibt.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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