Gröbenzell:Heiligabend in schweren Zeiten

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Weihnachten ist ein klassisches Familienfest. Doch bereits das zweite Mal ist alles pandemiebedingt kompliziert. Eine Bewohnerin des Caritas-Seniorenheims in Gröbenzell erzählt, wie es früher war und was sie schmerzlich vermisst - aber auch, was ihr Mut macht

Von Stefan Salger, Gröbenzell

Es ist nicht zu übersehen, dass besondere Tage vor der Tür stehen. Haben Besucher des Caritas-Seniorenheims Sankt Anton an der Pforte pflichtgemäß ihren Schnelltestnachweis vorgelegt, stehen sie unter einem großen Adventskranz. Neben dem hellgrünen Sofa steht ein prächtig geschmückter Christbaum, und um eine Säule windet sich ein Band, an dem in glänzendes Papier eingewickelte Geschenkpäckchen hängen. Auf einer Kommode steht eine Krippe mit geschnitzten Holzfiguren. Also alles wie jedes Jahr? Stade Zeit, Kerzen, Besinnung, Plätzchen, Familie? Natürlich nicht.

Gerade in einem Seniorenheim spürt man, wie belastend die andauernde Pandemie für Menschen sein kann, die der "vulnerablen Gruppe" zugerechnet werden und für die es doch so wichtig wäre, mal wieder in den Arm genommen und gedrückt zu werden. "Das fehlt uns allen schon sehr", hat bei einem früheren Besuch des Pflegezentrums Eichenau die dortige Heimleiterin Susanne Brenner gesagt - in der Pflege sei doch "gerade der Körperkontakt so wichtig." Irgendwie passt es, dass über den Fernsehbildschirm im Foyer von Sankt Anton eine Naturdoku flimmert, in der es ums Auseinanderdriften der Kontinentalplatten geht. Das könnte man auch über die Gefühlslage sagen oder über die Gesellschaft oder über Familien.

Im ersten Stock ist ein Treffen vereinbart mit Marlene Nelhiebel, die von Einrichtungsleiterin Susanne Uhl begleitet wird. Die 83-Jährige nimmt Platz auf dem Sofa. Auch das steht neben einem liebevoll dekorierten Christbaum. Auf dem Fensterbrett stehen ein Engel und ein Holznikolaus, in der benachbarten Wohnküche sitzen drei Damen und hören Weihnachtslieder - "Süßer die Glocken nie klingen".

Marlene Nelhiebel ist eine kleine Frau, die ihre Worte sorgsam abwägt. Man merkt, dass sie nicht jammern will. Man merkt aber auch, dass ihr die Pandemie und all die Vorgaben zusetzen. Vor allem, weil sie Weihnachten im Kreis der Familie feiern will. Unbedingt. Und da gibt es Hürden. Nachmittags abgeholt werden und abends zurückzukehren, das geht noch. Aber wenn Senioren auswärts übernachten wollen, wird es schwierig. Dann dürfen sie nach der Rückkehr fünf Tage lang das Zimmer nur mit Maske verlassen, nicht an Gruppenangeboten teilnehmen und werden am ersten und fünften Tag getestet. Vorsichtsmaßnahmen, um eine Situation zu vermeiden wie vor gut einem Jahr, als das Haus mit seinen 120 Bewohnern, das Besuchern 42 Stunden pro Woche offen steht, vom Virus heimgesucht wurde. In der zweiten Pandemiewelle infizierten sich 60 Senioren. 30 starben. Damals gab es noch keinen Impfschutz. Erst am zweiten Weihnachtsfeiertag 2020 begann im Germeringer Curanum die Impfaktion in den bayerischen Seniorenheimen.

Susanne Uhl (rechts) leitet das Gröbenzeller Pflegeheim Sankt Anton. (Foto: Stefan Salger)

Marlene Nelhiebel versteht das, bleibt aber dabei: "Ich will im Kreis meiner Familie feiern." Auch wenn sie sich darüber im Klaren ist, dass große Feiern "gerade nicht mehr gehen". So wie das bis 2019 der Fall war. Da kamen an Weihnachten auch die beiden Schwager mit den Angehörigen und die Kinder. Es gab Jahre, da waren sie 20 Personen. Es war ein Spektrum zwischen besinnlichem Fest und ausgelassener Party. Das war so, wie es sich Marlene Nelhiebel vorstellt. Richtige Weihnachten! Weil ein Schwager an Heiligabend auch noch Geburtstag hat, wurde anschließend oft einfach weitergefeiert. Da sind die Erinnerungen an den großen Christbaum, an dem früher noch richtige Kerzen brannten, an die Bescherung für die Kinder, ans gemeinsame Singen.

Die Schwiegertochter hat ihr Plätzchen ins Heim gebracht. Aber trotzdem fühlt sich Marlene Nelhiebel ein bisschen "weg vom Fenster". Sie sagt das mit leiser, gefasster Stimme. "Hoffentlich ist das mit Corona endlich mal vorbei." Zuspruch bekommt sie von Stationsleiterin Christa Scheiderer und der Heimleiterin. Susanne Uhl weiß, dass sie im Heim zwar viele Angebote machen, aber die Angehörigen nicht ersetzen können. Immer wieder gibt es Phasen, in denen sich das Heim buchstäblich abschotten muss von der Außenwelt.

Am vergangenen Wochenende gab es eine "Vorweihnachtsfeier", separat in den geschmückten Wohnbereichen. Ohne Angehörige. Trotzdem sei es sehr stimmungsvoll gewesen, findet Uhl. Ein Musiker zog durchs Haus. Es wurden gemeinsam die bekannten Weihnachtslieder gesungen wie "Stille Nacht, heilige Nacht". Die Festtage sollen auch besonders festlich werden. Das fängt beim Essen an: Buttermakrele an Heiligabend, Kalbsbraten am ersten Feiertag, Rindsroulade am zweiten. Danach gerne noch einen Sekt oder Likör.

2020 besucht Nelhiebel am zweiten Feiertag ihren Sohn Roland - in kleiner Runde zum Kaffeetrinken (rechts die mittlerweile verstorbene Schwiegermutter). (Foto: privat)

Die Mitarbeiterinnen gaben sich Mühe. Ihren Mundschutz aber durften sie auch da nicht ablegen, obwohl doch die Mimik gerade für demente Bewohner so wichtig ist und man ein Lächeln hinter der Maske bestenfalls erahnen kann. Einigen Senioren kommen an solchen besonderen Tagen schon mal die Tränen. "Da kommt so viel hoch", sagt Uhl. Dann denken die Bewohner daran, wie es früher war. Und an nahestehende Personen, die gestorben sind. "Es ist ganz klar der Wunsch da, wieder mal gemeinsam ein großes Fest zu feiern", sagt die Heimleiterin. Und der soll baldmöglichst erfüllt werden.

Das hofft auch Marlene Nelhiebels Sohn Roland. Ob seine Mutter vom ersten auf den zweiten Feiertag bei ihm übernachtet und das Prozedere im Heim auf sich nimmt oder abends wieder zurückkehrt, das werde man am Freitag kurzfristig entscheiden. "Wir sind auf jeden Fall flexibel und so oder so vorbereitet." Coronabedingt wird ohnehin in einer kleineren Runde gefeiert - Ehefrau, Cousin, zwei Kinder, Onkel. Wie im vergangenen Jahr. Da hatten sich die Nelhiebels immerhin am 26. Dezember in kleinerer Runde zum gemeinsamen Kaffeetrinken zusammengefunden. "Ein schöner Nachmittag" - und wichtig, weil die Mutter erst im März ins Heim gezogen war und man wegen der Lockdowns wochenlang nur per Telefon in Kontakt bleiben konnte. "Corona nimmt einem schon Lebensqualität", stellt der 53-Jährige fest. "Und wer weiß, wie lange man seine älteren Angehörigen noch sehen kann." Mut macht seiner Mutter immerhin, dass die Familie zusammenhält und man sich aufeinander verlassen kann. Das sei das schönste Weihnachtsgeschenk, findet Marlene Nelhiebel.

© SZ vom 24.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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