Die NS-Zeit in Gröbenzell:Endlich Erinnerung

Lesezeit: 3 min

Das Mahnmal sollte als Zentrum der künftigen Verwaltungseinheit Gröbenzell dienen. (Foto: Gröbenhüter)

Der Historiker Kurt Lehnstaedt hat zwei Jahrzehnte lang die NS-Vergangenheit seiner Gemeinde recherchiert. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Buch

Von Peter Bierl, Gröbenzell

Eine Entnazifizierung der lokalen Geschichtsschreibung begann in Fürstenfeldbruck um 1990, als der Lehrer Ulrich Bigalski sowie die Journalisten Anselm Roth und Dirk Walter den Todesmarsch der KZ-Gefangenen aus den Kauferinger Lagern, der völlig in Vergessenheit geraten war, wieder entdeckten. Es folgten die Ortsgeschichte von Olching von Konrad Bauer, Fritz Scherer und Tobias Weger, die seriösen Standards genügte, sowie der Überblick im Landkreis-Buch von Klaus Wollenberg. Die Deutungshoheit der Verdränger und Vertuscher, der Mitläufer und Komplizen, der HJ- und BDM-Generation, die bis dahin Ortsarchive und Dorfchroniken im Griff hatten, zerbröckelte. Dennoch dauerte es noch fast zwei Jahrzehnte, bevor die Stadt Fürstenfeldbruck eine Dokumentation der NS-Zeit veröffentlichte, und erst 70 Jahre nach dem Kriegsende ist nun die erste wirklich gründliche und vollständige Aufarbeitung der Geschichte wenigstens einer Landkreis-Gemeinde erschienen.

Der Historiker Kurt Lehnstaedt hat ein Werk über Gröbenzell, die erste Hochburg der Nazis im Landkreis, vorgelegt, das material- und kenntnisreich verfasst und spannend geschrieben ist. Der Gröbenhüter-Verein fungiert als Herausgeber. Zwei Jahrzehnte hat die Recherche gedauert - weil die Nazis ihre Akten vernichteten, als die Amerikaner kamen. Lehnstaedt hat bewiesen, dass die lokale NS-Herrschaft einer Siedlung, die damals noch nicht einmal als eigene Verwaltungseinheit existierte, dennoch aus vielen anderen Quellen rekonstruiert werden kann. Seine Engagement und das der Gröbenhüter kann allen Kommunen sowie historisch interessierten Vereinen ein Vorbild sein.

Das Mahnmal sollte als Zentrum der künftigen Verwaltungseinheit Gröbenzell dienen. (Foto: Gröbenhüter)

Das Buch bietet Erklärungen dafür, warum die Aufarbeitung bis heute so schleppend verläuft und auf viele Widerstände stößt, wie die aktuelle Debatte um Nazi-Straßenpatrone in Bruck wieder zeigt. Der Nationalsozialismus war eine Zustimmungsdiktatur, getragen vom Großteil der Bevölkerung. Selbst den Enkeln fällt es schwer, das zu akzeptieren.

80 Prozent der Gröbenzeller gehörten freiwillig einer NS-Organisation an. HJ und BDM sowie die Deutsche Arbeitsfront hat Lehnstaedt dabei gar nicht berücksichtigt, weil man dort ungewollt landen konnte. Von den 1366 Einwohnern jenes Teils der Siedlung, der zu Olching gehörte, waren 416 Mitglieder der NSDAP. Gestützt auf aktuelle Forschungsergebnisse weist Lehnstaedt Nachkriegslügen zurück: Es gab sozialen Druck von Vorgesetzen und Funktionären, aber niemand wurde durch Zwang oder ohne sein Wissen zum Parteigenossen. In Gröbenzell wie anderswo traten Menschen wieder aus der NSDAP aus, ohne dass ihnen etwas passierte.

Die Parteimitgliedschaft brachte Vorteile bei Arbeitssuche, Karriere, Versorgung oder wenn man mit den Gesetzen kollidierte. 23 Gröbenzeller arbeiteten hauptamtlich für die Partei, zwei machten Karriere. Richard Herrmann brachte es zum Brigadeführer der Waffen-SS, was dem Rang eines Generalmajors entsprach. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion ermordete seine Einheit bis Mitte November 1941 über 5300 Zivilisten, darunter fast 200 Kinder. Der Kaufmann Karl Best organisierte 1933 als Stellvertreter des Sonderbeauftragten der Obersten SA-Führung im Landratsamt den Terror gegen politische Gegner, dem etliche Gröbenzeller Kommunisten und Sozialdemokraten zum Opfer fielen.

Die SPD ruft zur Reichstagswahl im Juli 1932. (Foto: Kurt Lehnstaedt)

Lehnstaedt erinnert an die verfolgten und ermordeten Juden, an Zwangssterilisierung und Euthanasie und an die Opfer einer kaum zu bremsenden Denunziation. Die Täter führt er mit Namen und Foto auf, wie den SA-Mann Anton Bauer, den "Blutorden-Bauer", der am Hitlerputsch teilgenommen hatte, und den Gröbenzeller Sozialdemokraten Josef Schäflein so misshandelte, dass der ein Auge verlor.

Die Darstellung der NS-Zeit ist gelungen verknüpft mit der spezifischen Geschichte der Siedlung. Das schnelle Wachstum aufgrund der Nähe zu München, der Bahnstation und den billigen Grundstückspreisen, die Spaltung in fünf Teile, die damals zu Olching, Puchheim, Geiselbullach, Aubing und Langwied gehörten. Interessant ist, dass der Ortsgruppenleiter Martin Steger keineswegs die Selbständigkeit der Kommune verfocht, sondern einen Anschluss an die "Hauptstadt der Bewegung" wollte. Reichsstatthalter Ritter von Epp und die Aubinger Räte widersetzten sich den Münchner Expansionsgelüsten und sorgten dafür, dass Gröbenzell nicht geschluckt wurde.

Im Kontext dieser Auseinandersetzungen steht auch das pompöse Mahnmal, das 1938 gegenüber dem Gasthaus "Grüner Bau" errichtet wurde. Es ist das einzige Bauwerk dieser Art im Landkreis, mit dem die NSDAP sowohl die Gefallenen des Ersten Weltkrieges als auch der Nazibewegung ehrte. Der "Teller mit Pudding", so der Spitzname, war als Mittelpunkt der künftigen Verwaltungseinheit Gröbenzell gedacht.

Neben individuellen Faktoren wie dem Einsatz einzelner Aktivisten, darunter einer Frau, Wilhelmine Graf, die als "Mutter der SA" galt, waren die besonderen Umstände ein wesentlicher Grund dafür, warum sich die Siedlung seit 1929 zur ersten Hochburg der Nazis im Bezirk entwickelte. In der zusammen gewürfelten Bevölkerung der nachmaligen Gartenstadt existierte weder ein katholisches Milieu wie im übrigen Landkreis, noch war die Arbeiterbewegung verankert, wie in Olching oder Maisach. Mangels eigener Gemeindeverwaltung spielten die Vereine eine entscheidende Rolle, und in denen gaben Nazis den Ton an. Der evangelische Verein etwa hob mit Veranstaltungen wie "Die Sendung Adolf Hitlers im Lichte des Evangeliums" den Führer in himmlische Sphären.

Martin Hatzinger trug wesentlich dazu bei, dass der Ort friedlich übergeben wurde. (Foto: Kurt Lehnstaedt)

Kurt Lehnstaedt, Gröbenzell in den Jahren 1933 bis 1945. Die fünfteilige Siedlung im Nationalsozialismus, München 2015, Volk Verlag, 296 Seiten, 29,90 Euro.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: