Gröbenzell:Die Fundgrube

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Beim Bücherflohmarkt in der Wildmooshalle werden an zwei Tagen wieder mehr als 50 000 Bücher verkauft und mit dem Erlös soziale Projekte gefördert. Trotz des Andrangs wird es aber nie hektisch, denn der Basar ist perfekt organisiert

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Der Bücherflohmarkt des Vereins "Gröbenzell hilft" ist nicht nur der größte ins Süddeutschland, sondern auch einer der erfolgreichsten. Etwa 50 000 von mehr als 80 000 angebotenen Werken sind am Wochenende wieder meist zu Preisen verkauft worden, die zwischen einem und drei Euro liegen. Das ist kein Zufall, sondern liegt an einer ausgeklügelten, sehr professionellen Logistik und Organisation. Obwohl es wieder an zwei Tagen zuging wie an einem Bahnhof, gelang es den Verantwortlichen mit insgesamt 120 ehrenamtlichen Helfern, eine spezielle Atmosphäre zu schaffen, die zum Kulturgut Buch passt. Dass am Samstag schon vor 10 Uhr, als die Türen der Wildmooshalle geöffnet wurden, etwa 500 Bibliophile auf der Jagd nach Sammlerstücken Schlange standen, um endlich eingelassen zu werden, ist für die beiden Organisatorinnen Christa Bumeder und Renate Müller "ganz normal". Obwohl ständig 500 bis 800 Besucher die Tische umlagern, gehen die Bücherfreude sehr zuvorkommend und rücksichtsvoll miteinander um, so wie es sich eben für Gleichgesinnte gehört. Gedrängelt wird hier nicht. Zudem ist der Buchverkauf auch noch ein sozialer Event. Man trifft sich zum Plausch oder zum Schmökern in der Caféteria, wo annähernd 150 selbstbackene Kuchen von Gröbenzeller Kindergarteneltern auf hungrige Abnehmer warten.

Sammler Peter Fahr ist schon seit Jahren Stammgast in der Wildmooshalle. "Das ist der beste Bücherflohmarkt, den es in der Region gibt", lautet seine Begründung. Dass der Münchner immer wieder kommt, liegt nicht in erster Linie an dem riesigen Angebot, sondern an der Präsentation. Die Bücher sind, wie in einem guten Antiquariat auch, sehr gut vorsortiert. Das Angebot ist nach Hunderten von Kategorien geordnet. Deshalb muss sich niemand, was frustrierend wäre, durch Berge von Büchern wühlen, die ihn überhaupt nicht interessieren. Jeder kann ganz gezielt nach seinen Interessengebieten suchen. Die 16 Tischreihen sind in fast 240 Sachgebiete, beginnend bei Afrika und endend bei Zweiräder und zweisprachigen Texten, unterteilt, deren Nummern sich nochmals auf jedem Karton wiederfinden. Zudem stehen überall äußerst zuvorkommende Damen und Herren, die an Namensschildern und grünen Oberteilen zu erkennen sind. Diese hilfreichen Engel leiten die Suchenden zielsicher zu ihrem Wunschsachgebiet. Sammler wie Fahr finden sich alleine zurecht. Was den Münchner noch fasziniert, ist die "fantastische Atmosphäre". Man trifft Bekannte, meint er, um schwärmerisch zu ergänzen, "und die Damen backen wunderbaren Kuchen".

Weshalb Gröbenzell am Wochenende wieder einmal ein Treffpunkt für Menschen war, die professionell oder semiprofessionell mit Bücher handeln, bringt Lothar Gärtner auf den Punkt: "Viele Büchermärkte sind vorsortiert, bei den meisten sind die guten Stücke weg, hier nicht." Es gibt also noch Schnäppchen, wie sie Peter Fahr am Samstag machte. Der Münchner erwarb zwei Erstausgaben von Alfred Döblin aus den Zwanzigerjahren. So etwas ist auf Flohmärkten normalerweise nicht mehr zu finden, weil so etwas vorher aussortiert wird.

Dass hier Kenner unterwegs sind, ist aus den Gesprächen herauszuhören. So vertraut ein Kunde einer Frau an, dass sein ältestes Buch aus dem Jahr 1472 stammt. Um zu ergänzen, dass man so etwas eigentlich nicht sagen dürfe. Eine solche Inkunabel wird der ältere Mann hier garantiert nicht finden. Als Inkunabeln oder Wiegedrucke werden Bücher und Einblattdrucke bezeichnet, die zwischen der Fertigstellung der Gutenberg-Bibel im Jahr 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckt wurden.

Aber auch durch den Weiterverkauf bei Amazon oder im Internet lassen sich mit einem in der Wildmooshalle günstig erworbenen Buch schnell noch einige Euro verdienen. Ein Händler, der sich auf antiquarische Bücher spezialisiert hat, meint, auch solche Wiederverkäufer, seinen immer wieder unter den Interessenten auszumachen. Und dazu müsse man nicht einmal große Vorkenntnisse haben. Es genügt, ein Smartphone zu besitzen, die ISBN-Nummer des Buches oder den Umschlag abzufotografieren, um dann im Internet nachzuschauen, zu welchem Preis dort das Werk angeboten wird. Was aber nicht heißen muss, dass sich für diese Summe auch ein Abnehmer finden lässt. Im regulären Handel würde man das als das Geschäftsrisiko bezeichnen. Aber es ist schon erstaunlich, wie viele Leute am Sonntag mit ihren Handys zugange sind. Andere sitzen mit einem Stapel Büchern in einer Ecke und schmökern. So geht man als Leser und nicht als Händler vor, wenn man sich überzeugen will, ob einem die Texte wirklich gefallen.

Selbst das Bezahlen ist perfekt organisiert. Es gibt 16 Kassen, vier Schnellkassen und zwölf reguläre. Trotzdem muss man in der Mittagszeit kurz anstehen, bis der Hinweis auf eine freie Kasse kommt. Da der Preis schon im Buchdeckel vermerkt ist, geht es das Bezahlen fast so schnell wie der Einkauf im Supermarkt.

Nur Hektik oder Stress kommen nicht auf. Die beiden Organisatorinnen Christa Bumeder und Renate Müller sind die Ruhe selbst. Die Frage, wer im Team über so viel Organisationstalent verfügt, dass alles perfekt läuft, überhören sie. Sie verweisen nur auf die gute Zusammenarbeit eines eingespielten Teams. Schließlich ist das bereits der 27. Bücherflohmarkt, und da weiß jeder, was er zu machen hat. Der Verein verfügt über 40 Frauen, die die Bücher ordnen. Das sind die Sortiererinnen. Da alles kategorisiert ist, reichen für den Aufbau zwei Tage, der Abbau geht noch schneller. Der größte Nutznießer ist neben den Sammlern der Staat. Vom Umsatz müssen nämlich 20 Prozent Steuern gezahlt werden, obwohl der komplette Erlös für 23 Hilfsprojekt im Landkreis, in Deutschland und weltweit gespendet wird. "Unser größtes Hilfsprojekt ist der Staat", merkt denn auch Renate Müller an. Aber auch den Menschen, die dem Verein die Bücher überlassen, wird geholfen. "Wir wollen nicht, dass eines der wichtigsten Kulturgüter weggeworfen wird. Wir versuchen etwas zu bewahren", sagt Bumeder. Das meiste stammt aus Nachlässen, die dem Verein von Erben überlassen werden, die nicht wollen, dass im Müll landet, was ihre Eltern oder Angehörige in Jahrzehnten mühsam und unter Entbehrungen zusammengetragen haben. "Wir nehmen den Leuten den Schmerz, wenn sie Bücher wegwerfen müssten", nennt Müller eine wichtige Leistung des Vereins "Gröbenzell hilft". Um zu ergänzen, dass den ehemaligen Besitzern auch das Wegwerfen abgenommen werde. Denn vieles ist leider unverkäuflich.

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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