Gröbenzell:Brückenbau statt Schützengraben

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Ein Lebensmittelhändler aus Südfrankreich schlug mit seinen Kameraden vor 100 Jahren die Brücke über den Gröbenbach. Die Gemeinde feiert das Jubiläum am Samstag mit einem Fest am Bauwerk

Von Peter Bierl, Gröbenzell

Dass die Russenbrücke über den Gröbenbach eigentlich eine Franzosenbrücke ist, haben manche Gröbenzeller nicht vergessen. Eine breitere Öffentlichkeit erfuhr davon erst durch die Ausstellung der Gröbenhüter über das Bauwerk. Bei den Recherchen stieß Walter Ensinger auf Jean-Claude Martin, den Enkel eines Ladenbesitzers aus Südfrankreich, der auf Fotos als einer der Konstrukteure der Brücke bezeichnet wird. Der Mann hieß Fernand Alauzen, geboren 1890 in Saint-Christol-lez-Alès im Languedoc-Roussillon. Der Opa erzählte seinen Kindern und Enkeln nie von seinen Erlebnissen im Krieg und in der Gefangenschaft. Nur mit gleichaltrigen Freunden sprach er darüber, und der Enkel schnappte manchen Brocken auf. Im Kreis der Familie schimpfte der Opa auf jene, die die Menschen in den Krieg gehetzt hatten. Seine Witwe vernichtete die meisten Dokumente, so dass Martin die Geschichte des Großvaters rekonstruieren musste. Er hat Zeitzeugen und Verwandte gefragt und die Fotos entdeckt. Die Bilder vom Gröbenbach sind in einer Sammlung über den "Großen Krieg" enthalten, die Ensinger im Internet entdeckte.

Fernand Alauzen stammte aus einer Familie mit sechs Kindern. Er absolvierte eine Friseurlehre, als sein Vater 1907 zwei Flaschen verwechselte, Säure schluckte und starb. Er brach die Ausbildung ab und half in dem Lebensmittelgeschäft der Familie mit. 1911 heiratete Alauzen und wurde Vater eines Sohnes. Zusammen mit den Brüdern Emile und Marcel wurde Fernand am 3. August 1914 zu einem Infanterieregiment eingezogen und mit der Bahn nach Norden transportiert. Bei einer der ersten Schlachten des Krieges kämpfte seine Einheit am 19. und 20. August bei Vergaville gegen die deutsche 6. Armee. Emil, im Range eines Sergeanten, fiel, Fernand erlitt einen Schuss ins Knie. Die Sanitätskolonne, die ihn vom Schlachtfeld transportierte, lief bayerischen Truppen in die Arme. Ein Arzt versorgte Fernand, so dass Wundbrand und Amputation vermieden werden konnten. Es blieb ein kleiner Splitter zurück und Fernand hinkte fortan leicht. Zunächst wurde der Gefangene ins Lager bei Dilligen an der Donau gebracht. Einige Zeit lebte er auf einem Hof in Denklingen im Landkreis Landsberg, wo er in der Landwirtschaft arbeitete. Vermutlich von September 1915 an war Alauzen mit einigen Hundert Kameraden im Außenlager Eschenhof bei Gröbenzell interniert. Dieses Lager, das aus einer einzigen großen Baracke neben dem Hof bestand, war zeitweise mit mehr als 600 Mann überfüllt. Daneben gab es ein Arztzimmer, Krankenrevier, Küche und Sanitärräume und sogar ein kleines Fotoatelier, in dem die Bilder entstanden.

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(Foto: Archiv Michel Benoit/Jean-Claude Martin)

Beim Brückenbau: Alauzen mit einer Säge (dritter von links).

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(Foto: Archiv Michel Benoit/Jean-Claude Martin)

Das Bild zeigt eine kleine Brücke, die später abgerissen wurde.

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(Foto: Archiv Michel Benoit/Jean-Claude Martin)

Mit Kameraden als "Zimmerleute der Brücken" posiert Fernand Alauzen (sitzend vorne rechts) für den Fotografen.

Die Franzosen vertrieben sich die Zeit beim Boule, verspielten ihr Lagergeld im "Kasino Monte Carlo" und gründeten ein Lagertheater. Unter der Woche arbeiteten sie auf den Höfen, schaufelten Gräben, um das Moor zu entwässern, und bauten drei Brücken, von denen nur die Russenbrücke erhalten geblieben ist. Ein Foto vom Januar 1916 zeigt die Gefangenen bei der Konstruktion eines Lehrgerüstbogens, auf dem die Schalung aufgebracht wurde, um dann Armierung und Beton hinzuzufügen. Diese Eisenbeton-Bauweise war in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt worden. Die Form der Schalung weist auf die noch bestehende Russenbrücke hin.

Als im November 1918 der Waffenstillstand verkündet wurde, legten die Franzosen sofort die Arbeit nieder, die Deutschen mussten das Werk selbst vollenden. Alauzen konnte zwar noch vor Weihnachten nach Frankreich zurückkehren, wurde aber erst Wochen später demobilisiert. Im Februar 1919 war er wieder mit seiner Familie vereint. Erstmals sah er seine Tochter Fernande, die im September 1914 geboren worden war. Sie ist die Mutter von Martin. Als ältester überlebender Sohn der Familie übernahm Alauzen das Lebensmittelgeschäft.

Vom Zweiten Weltkrieg blieb sein Dorf zunächst verschont. Erst im November 1942 rückten deutsche Truppen in die sogenannte freie Zone im Süden ein. Die Kämpfe mit der Résistance nahmen zu, Leute wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Einmal durchsuchten Deutsche das Dorf, ein Bub geriet in Panik und lief durch die Straßen. Alle Männer wurden zusammengetrieben, Alauzen beschuldigt, den Widerstand mit Lebensmitteln zu versorgen. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse konnte er den Offizier überreden, ihn laufen zu lassen. Im Sommer 1944 kam es zu einem weiteren Zwischenfall, den Martin als Achtjähriger erlebte, wie er der SZ erzählte. Nachdem Widerstandskämpfer einen Munitionstransport gesprengt hatten, durchsuchten deutsche Soldaten und französische Hilfstruppen die Häuser im Dorf und nahmen Verdächtige gefangen. Alauzens Laden wurde geplündert. Er baute das Geschäft wieder auf und führte es bis zu seinem Tod 1964 weiter.

Das Brückenfest der Gemeinde Gröbenzell findet am Samstag, 4. Juni, von 14 bis 18 Uhr statt.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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