Grafrath/Kottgeisering:Die Gaukler vom Ampermoos

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Die Kornweihe steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Im Winter kommen die Greifvögel zum Übernachten in das Niedermoor nördlich des Ammersees. Exkursionen dorthin sind momentan ein Publikumsrenner

Von Heike A. Batzer, Grafrath/Kottgeisering

Da hinten fliegt was. μMit dem bloßen Auge ist ein sich bewegender schwarzer Strich erkennbar, der vor winterlich-braun gefärbten Bäumen verschwindet und dann vor dem grau-blauen Hintergrund des Himmels wieder erscheint, wieder verschwindet, wieder erscheint. Das menschliche Auge ist nicht gemacht für Beobachtungen aus großer Distanz. Doch der Mensch ist einfallsreich und hat für die Behebung optischer Defizite das Fernglas erfunden. Vogelbeobachter wissen das, und deshalb haben auch fast alle, die sich der Besichtigungstour zu den Kornweihen im Ampermoos angeschlossen haben, ein solches Vergrößerungsgerät und auch ihre Kamera dabei. Die Profis unter ihnen rücken sogar mit Stativen auf den Schultern an, damit die Aufnahmen aus großer Entfernung nicht verwackeln. 20 Vogelfreunde sind zu der Exkursion in das seit 1982 unter Naturschutz stehende Niedermoor zugelassen, das vom nördlichen Ammersee im Landkreis Starnberg bis an den Rand der Gemeinden Grafrath und Kottgeisering im Landkreis Fürstenfeldbruck reicht. Die Kornweihen, eine Greifvogelart, die im Winter ihre Nächte im Ampermoos verbringt, wollen sie beobachten.

Drei Führungen dieser Art hat die Brucker Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) organisiert. Vom Andrang waren die LBV-Verantwortlichen selbst überrascht, alle Führungen, deren letzte an diesem Samstagnachmittag stattfindet, sind ausgebucht, 27 Leute befänden sich auf der Warteliste, erzählt Korbinian Weidemann den Glücklichen, die einen Platz bekommen haben. Weidemann ist zu einem örtlichen Spezialisten für die Kornweihen geworden. Mit profundem Wissen und trockenem Humor führt der 21 Jahre alte Student der Tiermedizin die überwiegend doppelt bis dreimal so alten Exkursionsteilnehmer in das Leben des Greifvogels ein. Weidemann stammt aus Kottgeisering, hatte sich im W-Seminar in der Oberstufe am Gymnasium mit der Wiedervernässung des Ampermooses beschäftigt und nach dem Abitur ein Freiwilliges Ökologisches Jahr an der Vogelschutzwarte Garmisch-Partenkirchen absolviert. In seiner Heimatgemeinde entstand zeitgleich der erste und einzige Vogelbeobachtungsturm im Landkreis.

Im beginnenden Schilf des Ampermooses steht der Vogelbeobachtungsturm, der Einblicke von oben in die Landschaft erlaubt. (Foto: Günther Reger)

Von der Ortsverbindungsstraße zwischen Grafrath und Kottgeisering aus sieht man den hölzernen Aussichtsturm aus dem hellbraun gefärbten Schilf des Ampermooses hervorragen - mit seiner eigenwilligen Form, die laut Weidemann einem Kiebitz nachempfunden ist. Treppen führen zu einer überdachten Plattform, dort postieren sich die Hobby-Ornithologen. Der freie Blick auf das Ampermoos ist ihnen sicher, das Panorama an diesem Exkursionstag atemberaubend. Links und rechts rahmen die Kirchtürme von Grafrath und Kottgeisering das Bild ein, hoch über dem Ampermoos ist die Gebirgskette der Alpen zu sehen. Die Schönheit des Ambientes lenkt fast ein wenig ab von den Hauptdarstellern an diesem Spätnachmittag. Es ist kurz nach halb fünf und es beginnt kühl zu werden, als die ersten Kornweihen am Himmel erscheinen.

Weidemann hat den Exkursionsteilnehmern zuvor anhand von ein paar Schautafeln die Eigenheiten des Ampermooses vorgestellt und seine Wichtigkeit für Pflanzen, Kleinlebewesen und Vögel betont. 142 Vogelarten seien dort nachgewiesen, sagt Weidemann. Das Ampermoos ist für viele von ihnen Brutgebiet und für manche - wie die Kornweihe - winterlicher Übernachtungsplatz. Weil die Kornweihe nur noch in Norddeutschland brütet und im Süden ein 1956 nachgewiesener Bruterfolg lange als der letzte galt, nenne man sie in Bayern ausgestorben, sagt Weidemann. Später recherchiert er noch mal und ergänzt, dass es in den Neunzigerjahren und 2013 doch vereinzelte Brutnachweise gegeben habe. Dennoch bleibt die Kornweihe auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Es braucht viel Geduld und die richtige Ausrüstung, um die Vögel zu beobachten. (Foto: Philip Vlaicu/LBV)

Das Männchen hat ein blau-grau schimmerndes Gefieder und schwarze Flügelspitzen, Weibchen und Jungvögel sind sich in ihrer bräunlichen Farbgebung ähnlich. Beide Geschlechter haben einen auffällig weißen Bürzelfleck am Schwanzansatz. Der ist so markant, dass er beim Blick durch das Fernglas schnell ins Auge sticht. Die Beobachter können gut erkennen, was Weidemann zuvor als "gaukelnden Flug" geschildert hat: "Die Kornweihen können alles ein bisschen: zwei bis vier Schläge, dann wieder ein paar Meter segeln".

Das Beobachten von Vögeln erfordert viel Geduld. Nicht nur, weil die Vögel nie wirklich nahe kommen, sondern auch, weil sie stets in Bewegung sind und man nie sicher sein kann, ob und wie viele man wird erspähen können. 29 Kornweihen-Exemplare habe er vor zwei Wochen beobachtet, erzählt Weidemann. Auch an diesem Nachmittag bietet das Wetter gute Voraussetzungen: Es ist trocken und es hat keinen Schnee. Kornweihen halten sich nur in den Wintermonaten im Ampermoos auf, von Oktober bis April, dann ziehen sie weiter nach Skandinavien und Russland. In der beginnenden Dämmerung sieht man sie über dem Ampermoos kreisen. "Eine Viertel- oder halbe Stunde vor Sonnenuntergang fliegen sie noch mal alle auf und dann an ihren Schlafplatz im Schilf", erklärt Weidemann. Dort lauern auch ihre Feinde: Füchse, Marder, Wildschweine. Morgens fliegen sie wieder auf und suchen im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern von ihren Schlafplätzen entfernt nach Nahrung: Mäuse, Insekten, kleine Vögel.

Drei Kornweihenmännchen und zwölf -weibchen hat Jörg Möller zunächst gezählt. Der Rentner aus Inning hat sein Spektiv auf dem Vogelturm ins Ampermoos gerichtet und kommt als ehrenamtliches LBV-Mitglied den ganzen Winter über immer an einem Freitag mitten im Monat, um zwischen 16 und 18 Uhr Vögel zu zählen. Er zeigt hinüber an den südlichen Ortsrand von Kottgeisering, dort beim Silo eines Bauernhofs, sei er früher gestanden, als es den Vogelturm noch nicht gab. Im Vergleich dazu sei das jetzt - die Aussicht von oben, das Dach über dem Kopf - "sehr komfortabel", sagt er. Kühl ist es trotzdem, passionierte Hobby-Ornithologen aber wissen sich auszurüsten: Allwetterjacke, Mütze, Handschuhe.

Die Kornweihen werden mehr. Acht Männchen und 16 Weibchen weist Möllers Statistik um 17.20 Uhr aus, und einige Zeit wird er noch bleiben. Dass sich Möller und Weidemann an diesem Tag auf dem Vogelturm treffen, ist eher ein unglücklicher Zufall. Der LBV hatte die Führung kurzfristig ins Programm genommen und nicht bedacht, dass die Vogelzähler vor Ort sind. Doch unter den Experten entspinnt sich schnell ein Gespräch, über Wasservogelzählungen am Ammersee, über Seeadler, Gänsesäger, Eistaucher. Die modernen Medien sind den Ornithologen dabei gute Helfer, um die eigenen Beobachtungen zu katalogisieren. Jörg Möller hat die Daten alle auf seinem Handy. Spezielle Apps erlauben, Fotos mitsamt Beschreibung einzutragen. Auch die Kornweihen sind darunter. Für die Naturschutzverbände können solche Zahlen wertvolle Hinweise sein, für die Vogelbeobachter ein bisschen wie eine Sucht. "Alle, die sich intensiver damit befassen, haben doch einen Vogel", sagt Jörg Möller - und lacht.

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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