Grafrath:Flüchtlinge vor ungewisser Zukunft

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Gespräch in der Unterkunft (von links): Monika Glammert-Zwölfer, Siar Hakimi, Wali Zadran und Angela Guckenbiehl. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Zwei 19 Jahre alte Männer, die momentan in Grafrath leben, sollen nach Afghanistan zurückkehren. Weil sie dagegen klagen, können sie vorerst bleiben, sind aber zum Nichtstun gezwungen

Von Julia Huss, Grafrath

Jugendliche Flüchtlinge aus dem Landkreis leiden unter Perspektivlosigkeit, weil ihre Asylanträge trotz der Bemühungen um eine erfolgreiche Integration abgelehnt werden. Oftmals sprechen die Betroffenen gut Deutsch, gehen regelmäßig zur Schule und haben sogar Ausbildungsstellen in Aussicht. Dennoch werden die jungen Menschen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur freiwilligen Ausreise aufgefordert. Sobald die Betroffenen dieser Aufforderung nicht Folge leisten, erhalten sie den Bescheid zur Abschiebung in das jeweilige Heimatland. Dagegen können sie zwar gerichtlich vorgehen, dieses Verfahren kann jedoch Jahre dauern und ein erfolgreicher Ausgang ist nicht gewährleistet.

Die beiden 19-jährigen Flüchtlinge Siar Hakimi und Wali Zadran leben seit über drei Jahren in Deutschland in einer Unterkunft in Grafrath. Beide sind aus ihrem Heimatland Afghanistan auf der Suche nach einem sicheren Zuhause und einer besseren Zukunft geflohen. Hakimi hat bis zur sechsten Klasse die Schule in seinem Herkunftsland besucht, danach war allerdings keine Zeit mehr dafür, weil er Geld für seine Familie verdienen musste. Zwei Anschläge hat der junge Mann bereits überlebt. In dieser Zeit hat Hakimi auch seinen Vater verloren, der als Ingenieur für die Amerikaner tätig war. "Der Vater ist verschwunden, wahrscheinlich wurde er entführt", sagt Monika Glammert-Zwölfer, Koordinatorin des Helferkreises und nimmt damit Siad die Antwort ab, da er es nicht schafft auszusprechen, was mit seinem Vater geschehen sein könnte. Nun fürchtet der junge Mann, dass ihn ein ähnliches Schicksal ereilt, sobald er in seine Heimat zurückkehrt. "Ich habe Angst, dass ich der nächste bin", erzählt Hakimi. Auch Zadran musste sein Land verlassen. Der 19-jährige ist aus einer Madrasa, einer Koranschule, geflohen. Dort sollte er zum Hass auf alle Ungläubigen erzogen und zum Krieg gegen diese ausgebildet werden. Sein Vater hat ihn außer Landes gebracht. Eine mögliche Rückkehr macht ihm deshalb große Angst. "Die wollen uns töten, weil wir gegen die Taliban sind", sagt der junge Afghane.

Siad und Wali haben den Wunsch, eine Ausbildung in Deutschland zu absolvieren, Geld zu verdienen und auf eigenen Beinen zu stehen. Bis vor kurzem standen die Chancen dafür auch gut. Beide gehen zur Schule, ihr Deutsch wird immer flüssiger und sie hätten verschiedene Ausbildungsplätze, beispielsweise als Automechaniker oder Kinderpfleger, in Aussicht gehabt. Nun sieht die Lage aber anders aus. Sowohl Wali, als auch Siad wurden zur freiwilligen Ausreise aufgefordert. Beide können sich jedoch momentan keine Rückkehr vorstellen. Die Angst ist zu groß. "Die jungen Menschen müssen dort kämpfen, und ich will bei diesem Krieg nicht mitmachen", sagt Zadran.

Deshalb haben beide Rechtsmittel gegen die drohende Abschiebung eingelegt. Walis Anwalt sieht vor allem die Vorgehensweise des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge skeptisch. "Walis Antrag wurde von einem Entscheider abgelehnt, der ihn nicht gesehen und nicht gehört hat. Das halte ich gerade für die Beurteilung der Fluchtgründe im Asylverfahren für bedenklich", sagt Anwalt Fritz Maier. Hinzukommt, dass Zadran Fragen zu seiner Flucht beantworten musste, allerdings wurden diese nicht von speziell ausgebildeten Dolmetschern übersetzt. "Die Sprachermittler des Bundesamtes für Integration und Flüchtlinge haben nicht die Qualität eines Dolmetschers, Nachfragen zur näheren Aufklärung wurden nicht gestellt", bestätigt Maier den Fall seines Mandanten. Die Integrationsleistungen der Flüchtlinge spielen in diesem Verfahren ebenfalls überhaupt keine Rolle. Zusätzlich ist Maier der Meinung, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin beschönigt, obwohl die Zuständigen einräumten, dass eine unzulängliche Versorgungslage und eine zunehmende Gefährdung bestehe, so Maier.

So lange das Asylverfahren läuft und bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht, sind die Betroffenen vor einer Abschiebung sicher. "Bis zur Abschiebung kann es, je nach Einzelfall, einige Zeit dauern, mitunter auch Jahre", sagt Kerstin Kerscher von der Pressestelle der Regierung von Oberbayern. Allerdings können in dieser Zeit zahlreiche Flüchtlinge keiner Arbeit nachgehen, da die Erteilung von Ausbildungs- oder Beschäftigungserlaubnissen von der Bleibewahrscheinlichkeit und einer geklärten Identität abhängt. Beide Punkte sind auch bei Zadran momentan eine heikle Angelegenheit. "Ich habe meinen Pass auf der Flucht verloren", berichtet der Afghane. Sein Traumberuf Altenpfleger, und der Wunsch ein normales Leben zu führen, rückt deshalb in immer weitere Ferne. Die ständige Ungewissheit und zunehmende Perspektivlosigkeit hinterlässt zusätzliche Spuren. "Manchmal stehe ich am Bahnhof vor den Gleisen und will nicht mehr leben, aber dann denke ich an meine Familie und an alle, die mir helfen und die ich nicht alleine lassen will", sagt Zadran.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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