Premiere:Dialekt und Dildo

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Die drei Protagonistinnenmachen sich die gängige Objektivierung ihres Geschlechts zunutze (von links): Corinna Reischl als Maria, Helma Dreher als Waltraud und Lucia Graf als Lena. (Foto: Günther Reger)

Das Rassoburg-Theater spielt das aus dem Kino bekannte Stück "Eine ganz heiße Nummer" als Fest der Weiblichkeit und ganz ohne Klischees

Von Valentina Finger, Grafrath

Pink steht Barbara Lackermeier gut. Als sie vor fünf Jahren in Fürstenfeldbruck die berüchtigten "Vagina-Monologe" inszenierte, kletterten die Darstellerinnen aus vielsagenden Schlitzen im pinkfarbenen Vorhang, um unverblümt sexuelle Erlebnisse aller Art zu schildern. Diesmal sind es Corinna Reischl, Helma Dreher und Lucia Graf, die auf Geheiß ihrer Regisseurin hin in pinken Kitteln beieinander sitzen, Kir Royal schlürfen und Männer beglücken. Das klingt freilich nach dem sexistischsten Stoff, den man sich wohl vorstellen kann. Es mag überraschen, dass die Komödie "Eine ganz heiße Nummer", die Barbara Lackermeier mit dem Ensemble des Rassoburg-Theaters Grafrath einstudiert hat, in Wahrheit doch eher ein feministisches Stück ist.

Wer den Film von 2011 kennt, auf dem die Bühnenhandlung basiert, versteht den vermeintlichen Widerspruch: Die drei Protagonistinnen machen sich die gängige Objektivierung ihres Geschlechts für ihren eigenen Vorteil zunutze. Angesiedelt in der fiktiven niederbayerischen Gemeinde Marienzell, wo Mann-Frau-Stereotype ebenso normal sind wie der sonntägliche Kirchengang, steht der kleine Tante-Emma-Laden von Maria (Reischl), Waltraud (Dreher) und Lena (Graf) vor dem Aus. Die Dorfbewohner kaufen lieber bei Discountern, die Wirtschaftskrise tut ihr Nötigstes dazu, Rechnungen bleiben unbezahlt. Als letzten Ausweg flüchten sich die Drei in das stetig boomende Sex-Gewerbe und stöhnen ihren Anrufern am Telefon was vor, während sie Regale auffüllen.

Das Stück, das wie schon der Film von Drehbuch-Autorin Andrea Sixt stammt, wäre für viele Laienschauspielgruppen gewiss nicht unbedingt erste Wahl. Wer da mitspielt, muss auf der Bühne über Sexpraktiken reden und Orgasmen vortäuschen. Wenn jemand wie Barbara Lackermeier Regie führt, passiert das oft auch noch frontal zum Publikum. Doch Reischl, Dreher und Graf meistern diese Herausforderung ungehemmt und schaffen es außerdem, ihre jeweiligen Charaktere fein herauszuarbeiten. Corinna Reischls Maria ist die treibende Kraft des Trios, eine Kämpfernatur, die sich gegen das Aufgeben sträubt, wenn sie die Zuversicht auch oft verlässt. Lucia Graf spielt die gottesfürchtige Jungfrau Lena als eine etwas naive, junge Frau mit Träumen, die zerplatzen, um ihr stattdessen die Möglichkeit zu geben, ihre erotische Seite zu erkunden.

Dann ist da noch Helma Drehers Waltraud. Sie erntet die meisten Lacher, zu Recht, denn die pragmatisch denkende und doch mit ihrem Dasein frustrierte Figur bekommt in ihrer Darstellung einen herrlich zynischen Twist. Gelungen ist auch die Besetzung der anderen Rollen, wie zum Beispiel Heike Maltan als schadenfrohe Spießerin Gerti oder Burkhard Kück als scheinheiliger Pfarrer.

So manche Textpassagen hat Barbara Lackermeier gestrichen, lieber setzt sie in ihrer Inszenierung auf Aktion. Da gibt es die gemeinsame Yogastunde aller Beteiligten oder den Tanz der drei Sex-Telefonistinnen mit Headset, Besen und Putzlumpen zu "Yes Sir, I Can Boogie". Noch viel mehr Musik, vom Kirchenchor-Halleluja bis zur "Sex and the City"-Titelmelodie, begleitet und strukturiert das Geschehen. Dennoch wird bei all dem bunten Treiben immer wieder innegehalten, um die eigentlich gar nicht lustige Ausgangssituation, die die Frauen in ihr Business treibt, nicht vollständig aus den Augen zu verlieren.

Viel Gefühl und Humor haben Barbara Lackermeier und ihre Darsteller in die Umsetzung dieses Stücks gesetzt. Herausgekommen ist eine sympathische Fusion aus volkstümlichen und modernen Theater-elementen, wo Dialekt und Dildo gleichsam einen Platz haben. Vor allem aber kommt diese Inszenierung daher wie ein Fest der Weiblichkeit, in all ihren Formen und ohne Klischees.

"Eine ganz heiße Nummer", Dachsaal Marthashofen, Grafrath, 4., 5., 6., 11., 12. und 13. Mai; freitags und samstags um 20 Uhr, sonntags um 17 Uhr; Karten unter 08144/997114

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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