Es ist nicht einfach, Muße und Ruhe zu finden in diesen Zeiten. Alltagshektik, Stress im Job, Multitasking, Dauererreichbarkeit. Um gegenzusteuern, entdecken immer mehr Menschen das Pilgern als eine Form des Abschaltens und Krafttankens für sich. Prominente wie der TV-Entertainer Hape Kerkeling, der sich medienwirksam auf den Jakobsweg begeben hat, fachen diese Entwicklung an.
Früher pilgerten die Menschen aus religiösen Gründen. Heute sind ihre Motive sehr individuell, fanden die Wissenschaftler Julia Reuter und Markus Gamper von der Universität Trier 2010 mit ihrem Forschungsprojekt "Glaube in Bewegung: Spirituelle Netzwerke von Pilgern" heraus: Die Menschen pilgerten, "weil sie eine Lebenskrise verarbeiten wollen, weil sie eine Entscheidung überdenken wollen, weil sie eine Auszeit aus dem anstrengenden Alltag benötigen oder weil sie auf der Suche nach einem neuen Lebens-Gleichgewicht sind", schreiben die Autoren. Auch Maria Leitenstern-Gulden ist der Ansicht, dass Menschen das Pilgern nutzen, um "nach Ruhe zu suchen und sich dem Hamsterrad zu entziehen". Leitenstern-Gulden ist Vorsitzende des Kulturvereins Sankt Rasso, der an diesem Sonntag dazu einlädt, die letzte Teilstrecke des Rassopilgerwegs von Herrsching nach Grafrath zu gehen.
Die übrigen drei Abschnitte der insgesamt etwa 80 Kilometer langen Pilgerstrecke, die am Bahnhof Geltendorf beginnt und in dreieinhalb Tagesetappen rund um den Ammersee nach Grafrath führt, hat der Kulturverein bereits mit eigenen Veranstaltungen erwandert. Der Pilgerweg führt auf den Spuren des Heiligen Rasso vorbei an der Erzabtei der Missionsbenediktiner in Sankt Ottilien, der romanischen, direkt am See gelegenen Jakobskirche in Schondorf, dem barocken Marienmünster in Dießen und dem Heiligen Berg in Andechs und endet an der Wallfahrtskirche in Grafrath, die als Grabkirche des Heiligen Rasso schon seit mehr als einem Jahrtausend Ziel von Pilgern und Wallfahrern ist.
Im April 2010 hatten sich auf Einladung des Kulturvereins erstmals 60 Wanderer gemeinsam auf die erste Etappe gemacht. Der Pilgerweg kann als Ganzes oder in vier Teilabschnitten beschritten werden. Wie viele Menschen in den vergangenen sieben Jahren um den Ammersee gepilgert sind, ist nicht bekannt. "Ich bin mir aber sicher", sagt Leitenstern-Gulden, "dass die meisten gehen, ohne dass es organisiert ist". Die Rassopilger gehen am Sonntag das vierte und damit letzte Teilstück von Herrsching über Schlagenhofen und Inning nach Grafrath. Nach ihrer Rückkehr findet in der Rassokirche eine kleine Besinnung statt, anschließend gibt es im Pfarrheim einen Imbiss. Um 17 Uhr wird dort die Neuauflage der Pilgerweg-Broschüre vorgestellt. Die 2500 Exemplare der ersten Auflage von 2010 sind vergriffen. In die zweite, 96 Seiten starke Auflage, wurden auch Anregungen von Pilgern aufgenommen, so etwa jene, kurz vor Schondorf die Streckenführung zu ändern, weil der Weg dort "durch ein Sumpfgebiet führte, wo die Brennnesseln bis zur Hüfte standen", wie Leitenstern-Gulden erzählt. Auch in Pähl südlich des Ammersees musste der Weg geändert werden, um die neue Umgehungsstraße überqueren zu können. Bei der Präsentation des Pilgerführers wird Schwester Beate Grupp OSB vom Kloster Bernried über ihre Erfahrungen als Pilgerbegleiterin berichten und die Frage beantworten, warum der heutige Mensch pilgert.
Rassopilgerweg, vierte Etappe von Herrsching nach Grafrath. Sonntag, 23. April. Treffpunkt um 8.40 Uhr am Bahnhof Grafrath oder um 10.15 Uhr am Bahnhof in Herrsching. Rückkehr in Grafrath gegen 15.30 Uhr. Vorstellung der Pilgerwegsbroschüre um 17 Uhr im Pfarrheim, Hauptstraße 68.