Grafrath:Amüsante Zeitreise

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Hinreißend: Helma und Charlie Dreher mit ihren mal bissigen, mal witzigen Couplets. (Foto: privat/oh)

Bayerisches Panoptikum aus der vordigitalen Ära

Von Ariane Lindenbach, Grafrath

In eine Zeit, als selbstbestickte Decken die Tische zierten und der Kaffee per Hand gebrüht wurde, eine Zeit eben, als das Fernsehen gerade erst langsam populär wurde und sich noch kein Mensch vorstellen konnte, dass man ein gutes halbes Jahrhundert später fast von jedem Ort der Welt mit jemand anderem telefonieren kann und bücherdicke Datensätze in Sekunden um den halben Globus jagen, in die Zeit der Fünfziger- und Sechzigerjahre also, haben die Mitwirkenden des "Bayerischen Panoptikums" am Samstagabend im Dachsaal in Marthashofen entführt. Der bunte Abend mit typischen Münchner Geschichten, zeitgenössischen Couplets, Szenen und Musik, der vom Grafrather Kulturverein Sankt Rasso veranstaltet wurde, trug den Untertitel "Radioperlen der 50er und 60er Jahre". Entstanden freilich sind viele der Schnipsel schon früher, etwa um die Jahrhundertwende. Musikalisch umrahmt wurden die Beiträge von einer Formation der Grafrather Geigenmusik, deren Vortrag an die Wiener Schrammelmusik erinnerte. Die hundert zumeist älteren Zuschauer jedenfalls amüsierten sich in den zweieinhalb Stunden prächtig.

"Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch." Mit diesem Zitat von Karl Valentin, das in einem Satz dessen unnachahmliche Logik auf den Punkt bringt, begrüßt Barthl Sailer die Zuschauer: Hätte der Münchner Schauspieler, Jahrgang 1952, dabei nicht die Probleme mit dem Vorhang erwähnt (der öffnete sich eingangs nicht ganz, so dass die Musiker bei ihrem ersten Stück teils leicht verdeckt waren - bis jemand aus dem Publikum kurzerhand auf die Bühne stieg und den Vorhang ganz aufzog), man hätte die kleine Panne auch als geschickt eingebauten Regieeinfall interpretieren können. Sailer erzählt von der Zeit, als es noch kaum Fernsehen gab, bestenfalls zwei Programme, und man sich noch gemeinsam hingesetzt und Radio gehört hat. Damals, da habe nicht einmal jede Wohnung ein eigenes Badezimmer gehabt. Damals, da gab es noch das sogenannte Etagenbad, berichtet Sailer und liest eine Geschichte des Münchner Autors Siggi Sommer, die eindringlich die verschiedenen Etagenbadbenutzer aus einem Mietshaus beschreibt.

Die Überleitung zu einem von Helma und Charlie Dreher gesungenen Wiener Couplet über das "Tröpferlbad" - so hießen dort seinerzeit die öffentlichen Badeanstalten für jene Leute, die nicht einmal ein Etagenbad im Haus hatten - ist naheliegend: Es folgt ein Stück über Leopoldine, die zwar bezaubernd, aber so dünn war, dass sie eines Tages, als sie das Badewasser ausließ, durch den Ausguss mit fortgespült wurde. Das Publikum applaudiert begeistert. Immer wieder aufgelockert von Beiträgen der Musiker, reihen sich bei der mehr als zwei Stunden dauernden Veranstaltung Erzählungen von Simone Schmid, deren Mutter noch Karl Valentin selbst begegnet war, an kleine Szenen, gespielt von Sailer, Helma Dreher, Lilly Reischl und Monika Koch, sowie an die Couplets von Helma und Charlie Dreher. Tiefsinniges, etwa von Eva Renzmeier ("Was ich liebte, bekam ich nicht, was ich kriegte, nahm ich nicht. So werd ich ne alte Jungfer, drum scham ich mich"), wechselt mit Banalem, beispielsweise dem Streit zweier Münchner Hausfrauen mit derbsten Schimpfwörtern. Die Zuschauer applaudieren am Ende begeistert.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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