Gräberumgang:Totengedenken und Familientreffen

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Die Grabpflege ist ein Ritual, dem vor allem in den Tagen vor Allerheiligen auf den Friedhöfen viel Zeit und Akribie gewidmet wird. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Für Allerheiligen richten Angehörige die Grabstätten auf den Friedhöfen aufwendig her. Früher war das die einzige Gelegenheit, zu der die Verwandten zusammenkamen

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

In den Tagen vor dem 1. November ist auf den Friedhöfen ungewöhnlich viel Betrieb. An vielen Gräbern sind Angehörige damit beschäftigt, die Ruhestätten frisch zu bepflanzen, neue, tiefschwarze Graberde zu verteilen sowie Grabsteine und Einfassungen zu reinigen. Da werden Gestecke oder Schalen drapiert, Bäumchen und Hecken zurecht geschnitten. Chrysanthemen, Erika und Alpenveilchen leuchten mit gefärbten Luffas um die Wette. Auf den weitläufigen Fürstenfeldbrucker Waldfriedhof darf man nach Rücksprache mit der Friedhofsverwaltung bis 31. Oktober mit dem Privatwagen fahren, wenn man einen guten Grund hat. Zum Feiertag Allerheiligen sollen die Grabstellen schön und ordentlich aussehen. Es gibt sogar Leute, die die Erde mit dem Kehrbesen extra fein und gleichmäßig verteilen. Auf dem Waldfriedhof dürfte die größte Herausforderung sein, die Gräber vom Laub freizuhalten.

Am Nachmittag von Allerheiligen finden die Gräberumgänge statt. Wie der katholische Dekan Marin Bickl erklärt, hält er zunächst eine Andacht. Dann geht der Priester von Grab zu Grab, wo die Angehörigen warten. Er versprengt Weihwasser als Zeichen für die Taufe, es erinnert an das Versprechen der Auferstehung. Der Weihrauch, den die Priester ebenfalls mit sich führen, zeige den Respekt und die Achtung vor den Toten. In manchen Gemeinden, etwa in Eichenau und Alling, spielt dazu die Blaskapelle getragene Weisen. Spezielle Segenssprüche gibt es Bickl zufolge nicht: "Das läuft alles ruhig ab."

Dass der Gräberumgang an Allerheiligen stattfindet und nicht am 2. November, dem eigentlichen Allerseelentag, hat ganz praktische Gründe: Allerseelen ist kein Feiertag, da haben die Gläubigen einfach nicht die Zeit für eine solche Feier. "Die Katholiken sind da pragmatisch", sagt Kreisheimatpflegerin Ingeborg Heining. Sie erinnert sich noch daran, dass es früher an den Gräbern durchaus auch darum ging, zu schauen, wer einen neuen Wintermantel trug oder gar einen Nerz oder Persianer ausführen konnte. Das habe sich aber gewandelt. Christina Claus, Kulturwissenschaftlerin und Kulturreferentin des Kreises, erzählt, dass man durchaus schräg angeschaut werde, wenn man das Grab der Angehörigen anders gestaltet habe als die anderen. In erster Linie aber gehe es bei Allerheiligen um etwas Anderes: "Das ist etwas, wo man sehr intensiv an die Toten denkt."

Beide betonen, wie auch Bickl, dass der Gräberumgang eine weitere wichtige Funktion habe: Man trifft seine Verwandten und Bekannten, auch solche, die weiter weg wohnen. Viele Familien setzen sich danach noch zusammen, zum Kaffeetrinken und Ratschen. Für die 67-jährige Heining, die in Altötting aufwuchs, waren diese Treffen prägende Erlebnisse der Kindheit - auch, weil es dann immer extra Taschengeld gegeben habe.

Früher sei Allerheiligen tatsächlich der einzige Tag im Jahr gewesen, an dem die ganze Familie zusammengekommen sei, erzählt Brigitte Zimmermann, Mitarbeiterin des Bauernhofmuseums Jexhof. Die Godeln, also Taufpaten, brachten ihren Patenkindern kleine Hefezöpfe mit. Je wohlhabender sie waren, umso mehr seien die Zöpfe mit Butter und Eiern, Rosinen, Nüssen oder Mandeln angereichert worden. "Die Kinder haben tagelang davon gezehrt." Für die armen Leute gab es gebackene Seelen. "Früher hat man die an den Gräbern abgelegt. Das war keine Totenspeisung, sondern die Leute, die nichts hatten, haben sich die geholt", erklärt Zimmermann. Die Seelen waren wie Knochen geformt. Sie wurden aus einfachem Hefeteig gebacken und oft mit Kümmel gewürzt. Zimmermann bietet am Donnerstag auf dem Jexhof zwei Kurse an, einen für Kinder, einen für Erwachsene, bei denen Zöpfe und Seelen nach alten Rezepten gebacken werden. Anmelden kann man sich unter Telefon 08141/519-205.

Am Vormittag des Allerheiligentags gedenken die Katholiken in einem Gottesdienst all der namenlosen Heiligen, die im Kalender nicht vorkommen, erklärt Bickl. Das ist der eigentliche Sinn des Hochfestes. "Das ist auch das Fest, an dem wir an die Menschen denken, die uns den Glauben vermittelt haben", sagt der Dekan. Schließe sich der Gräberumgang direkt an, sei diese Feier auch recht gut besucht.

Auf dem Eichenauer Friedhof teilt sich der Dekan den Umgang mit einem zweiten Geistlichen, jeder besucht die Hälfte der Gräber. Dennoch dauere er etwa 45 Minuten, so groß ist der Friedhof. Auf dem Fürstenfeldbrucker Waldfriedhof ziehe sich der Umgang noch länger hin. Dabei werden gar nicht alle Gräber gesegnet, sondern nur die, an denen Angehörige stehen, und das ist bei weitem nicht jedes. Es seien ja nicht nur Katholiken auf den Friedhöfen beerdigt, sagt Bickl. Und Evangelische feiern Allerheiligen nicht. Sie ehren die Toten am Toten- oder Ewigkeitssonntag, heuer am 24. November. Das ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr, das mit dem ersten Adventssonntag beginnt. Der Gräberumgang sei "eine schöne und gute Tradition, weil er die Menschen mit den Verstorbenen verbindet und die Gemeinschaft der Familien fördert", sagt Bickl. "Das ist ein würdiger Akt."

Am Abend des Feiertags herrscht eine eigentümliche Stimmung auf den Friedhöfen. Überall leuchten die ewigen Lichter. "Licht symbolisiert immer Leben", erklärt Kulturreferentin Claus. "Und das ewige Licht steht für die Auferstehung."

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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