Gernlinden:Ein Leben auf dem Flugplatz

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Der Gernlindener Achim Dorwarth kommt neben startenden und landenden Maschinen zur Welt und arbeitet bis zu seiner Rente auf dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck - allerdings als ziviler Mechaniker, nicht als Soldat

Von Ariane Lindenbach, Gernlinden

Verblüffend, wie sich innerhalb eines Menschenlebens bisweilen ein Kreis schließt. Manchmal bedarf es einer großen Reflexion und einer Betrachtung von außen, um die Zusammenhänge zu erkennen. Manchmal sind sie aber auch ganz offensichtlich. So wie bei Achim Dorwarth. "Ich bin auf einem Flugplatz geboren und ich habe bis zur Rente auf einem Flugplatz gearbeitet," erklärt der 77-jährige Gernlindner mit der schwarzen Lederweste und dem weißen Vollbart, der ihm eine gewisse Gemütlichkeit verleiht. Mit knapp 20 Jahren kam er als Schreiner an den Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, wurde von den Amerikanern zum Flugzeugmechaniker umgeschult, war eine Zeitlang als Schleudersitzmechaniker tätig und schließlich als Modellbauer von Landschaften für die Piloten.

Als Sohn eines Berufssoldaten kam Dorwarth im März 1938 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf einem Militärflugplatz bei Altenburg in Thüringen zur Welt. Ein Großteil seiner Kindheit war durch den Beruf des Vaters geprägt: So lebte die Familie während des Krieges die meiste Zeit auf dem Militärflugplatz Heiligenbeil in der Nähe von Königsberg in Ostpreußen. Dorwarth erinnert sich noch an die Angriffe eines Nachts durch die britische Luftwaffe auf den Flugplatz und die benachbarte Stadt Königsberg und den Anblick der "glühenden, mit Leuchtspur durchsetzten Abwehrgeschosse". All das hat der 77-Jährige vor ein paar Jahren aufgeschrieben. Das Interessante an den Aufzeichnungen ist die Perspektive eines Sechsjährigen, der den Ernst der Lage nicht erfasst. In "Achims Geschichte" beschreibt er den britischen Luftangriff auf Königsberg so: "Wir konnten den Feuerschein am Horizont sehen, es war ein schauerlich-schöner Anblick." Aber eben auch: "Jeder der Erwachsenen atmete tief auf, doch wir Kinder hatten nichts von der Gefahr geahnt, in der wir waren. Für uns war es wieder ein riesiges Erlebnis."

Das letzte Kriegsjahr verbrachte Dorwarth mit der Mutter und dem kleinen Bruder bei den Großeltern in Berlin. Der Vater kämpfte als Soldat in der Wehrmacht. In der Hauptstadt erlebte die kleine Familie Fliegeralarm, Luftschutzbunker, Hunger, Kälte und viele Entbehrungen. Als die sowjetische Armee die Stadt besetzte und die Alliierten das Land in Besatzungszonen aufteilten, gelang es den Dorwarths, sich nach Bretten in Baden-Württemberg in die französische Besatzungszone durchzuschlagen. Dort lebten nicht nur die Eltern des Vaters, es gab auch ein Wiedersehen mit dem Vater.

Dorwarth absolvierte Schule und Ausbildung zum Schreiner in der Nachkriegszeit in der Kleinstadt nahe Karlsruhe. Dort trat er als 13-Jähriger dem Fanfarenzug 1504 Bretten bei. Im Jahr 1956 zog die Familie nach Bayern, genauer nach Gernlinden. Wieder war der Beruf des Vater für den Ortswechsel verantwortlich: Als früherer Berufssoldat hatte er sich 1955, als die Bundeswehr ins Leben gerufen wurde, erneut für den Militärdienst beworben. Der Vater war es auch, der seinen Sohn Joachim, den alle Achim nennen, damals fragte, ob er nicht Flugzeugmechaniker werden wolle. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer: "Düsenjäger-Mechaniker, das war doch etwas anderes als Schreiner, oder?", fragt er in seinen Aufzeichnungen.

"Die Hoheit über den Flugplatz wurde erst 1957 von den Amerikanern an die Bundeswehr abgegeben. Aber die Amerikaner waren weiterhin präsent, um Ausbildungshilfe zu geben", erzählt der Gernlindner, während er an seinem Esstisch sitzt und in alten Fotoalben blättert. Im Juni 1958 begann seine Umschulung zum Flugzeugmechaniker auf den Düsenjägertyp T-33, ein Jahr später wurde er zum ersten Wart ernannt und bekam eine Maschine zugeteilt. Die musste er vor und nach dem Flug inspizieren, betanken, fehlerhafte Teile austauschen und den Piloten beim Einsteigen betreuen. Da habe er viel zu tun gehabt, erinnert sich der 77-Jährige. Insgesamt gab es gut 100 Maschinen dieses Typs, etwa die Hälfte davon startete bei einem Manöver im Zwei-Minuten-Takt und kam nach zwei Stunden wieder zurück. Die jeweiligen Mechaniker hatten vorm Abflug und nach der Landung alle Hände voll zu tun, erinnert er sich. Auch wenn ein Alarm ausgerufen wurde, waren die Flugzeugmechaniker stets beteiligt, betont Dorwarth. Egal zu welcher Zeit, "auch nachts", habe man dann anrücken müssen. "Als der Flugplatz Jagdbombergeschwader war, da hat die Nato oft Alarm zu Übungszwecken ausgerufen", erinnert er sich. Die Phase dauerte von 1978 bis 1994. Während all der Jahre waren nächtliche Einsätze auch für die vielen Zivilkräfte ganz normal.

Überhaupt gab es zwischen den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern am Fliegerhorst dem Gernlindner zufolge ständig Spannungen. "Wir mussten nicht den Riesenrespekt vor den Soldaten haben." Immer wieder habe er Bundeswehrangehörige als Vorgesetzte bekommen, die meinten, den seit Jahren mit der Technik an den Flugzeugen vertrauten Mechanikern ihre Arbeit erklären zu müssen. Dabei überwog der Anteil der Zivilisten in der Belegschaft mit zwei Drittel deutlich.

Zunächst arbeitete Dorwarth in der Wartungsstaffel als normaler Flugzeugmechaniker. In den Achtzigerjahren schulte er erneut um, zum Schleudersitzmechaniker. Im Fliegerhorst war er somit einer von etwa zehn Spezialisten, die die 110 Maschinen betreuten. Wie wichtig diese speziell geschulten Mechaniker waren, zeigt die Tatsache, dass sie im Falle eines Defekts an einem Flugzeug zu dessen aktuellen Standort geflogen wurden. "Das ist oft vorgekommen, einmal haben sie mich nach Sardinien geflogen", berichtet der Gernlindner. Es gab regelmäßig Schulungen in Fassberg bei Celle, zu denen die Mechaniker von Fursty immer Leberkäs und Brezen mitbringen mussten.

Eine andere Begebenheit, die der 77-Jährige sein Leben lang nicht vergessen wird, war die Anwesenheit der berühmten Kessler Zwillinge auf dem Fliegerhorst. Ein paar Tage hätten sie mit einem Filmteam auf dem Gelände verbracht, seien auch mitgeflogen. "Und ich habe sogar ein Autogramm gekriegt", unterstreicht Dorwarth, der 1961 den Fanfarenzug in Gernlinden mitgegründet hat. Und das ist genau der Punkt, wo sich ein zweiter Kreis im Leben des 77-Jährigen schließt: Auch sein jüngerer Bruder Ulrich war Mitglied beim Fanfarenzug 1504 Bretten. Wie der Gernlindner erzählt, lebt sein Bruder schon seit vielen Jahren in Neuburg an der Donau und hat dort ebenfalls einen Fanfarenzug gegründet. In unregelmäßigen Abständen organisieren die Brüder gemeinsame Treffen mit dem Fanfarenzug Bretten. Dort, wo alles begann.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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