Theater:Im Stakkato über die Bühne

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Mit einer Inszenierung von "Venedig im Schnee" startet das Theater im Roßstall in die Nach-Hörmann-Ära. So richtig überzeugen kann das Stück über einen Pärchenabend mit allerlei Wirrungen allerdings nicht

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Der neue Roßstall-Regisseur Oliver Kübrich hat vor allem auf Tempo großen Wert gelegt. Es wird oft schnell, manchmal ganz schnell, gegangen bei der Premiere von "Venedig im Schnee" des französischen Autors Gilles Dyrek. Als Stakkatogeherin hat sich Kübrich besonders Nathalie (Pascale Ruppel) ausgesucht. Mit dem penetranten Ruf "Schatzi, ich komme", rennt sie mal in die Küche zu ihrem zukünftigen Ehemann Jean-Luc (Alexander Schleissinger) und wieder zurück oder ins Schlafzimmer und wieder zurück. Die beiden Gäste des Paares, Patricia (Anja Neukamm) und Christophe (Thomas Leicht), ignorieren die Rennerei, weil sie streitend mit sich selbst beschäftigt sind.

Auch Jean-Luc redet seine Nathalie ständig mit "Schatzi" an. Das Schatz-Gerede nervt Patricia ganz besonders, die keine Lust auf den Abend mit dem Studienfreund von Christophe hat. "Es wird für dich die Hölle sein", kündigt Patricia ihrem Freund schon vorab an und setzt das nach dem Eintreffen bei den Gastgebern auch sofort um. Sie gibt sich mürrisch und vor allem wort- und grußlos den Gastgebern gegenüber. Jean-Luc und Nathalie nehmen diese Unhöflichkeit nicht wahr, sind sie doch mit ihren Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Die wortlose Patricia verortet Nathalie als Nichtfranzösin und spricht sie auf gebrochenem Englisch an. Patricia klärt die Lage nicht auf, sondern greift das ständige "Schatzi" auf und sagt auf die Frage, woher sie komme, "Schatzonien". Patricia untermauert ihre Lüge, indem sie angeblich die eigentümliche Sprache dieses von ihr erfundenen Landes spricht.

Jetzt scheint die Komödie in eine Art Gesellschaftssatire zu münden. "Schatzonien" kann nur ein armes Land sein, vermutet Nathalie. Die dann folgende blindwütige Hilfs- und Spendenbereitschaft des Gastgeberpaares für vermeintlich arme Menschen aus fremden Ländern spricht für Gesellschaftssatire; aber dafür ist der Grundplot des Stückes gar zu unglaubwürdig. Ob nun, wie im Französischen, das Fantasieland "Chouvenien", (abgeleitet vom Kosewort Chouchou), oder "Schatzonien", das eine wie das andere Land ist im Atlas nicht zu finden. Dass sich heutzutage noch jemand einen solchen Bären aufbinden lässt, davon kann keine noch so gute Darstellung ganz überzeugen. Dann vielleicht doch eine Art Komödie oder gar Boulevard?

Aber wäre es Boulevard, sollte das Publikum nicht nur mit überraschenden Wendungen und pointiertem Parlieren unterhalten werden, sondern auch sinnliche Genüsse serviert bekommen. Doch selbst mit einem interessanten und sehr gelungenen Bühnenbild, das hier die gesamte Höhe des Bühnenraums geschickt nutzt, ist es nicht getan. Warum werden die zwei Männer ordentlich angezogen, aber die beiden Frauen in unpassende Kostüme gesteckt? Gegen Quergestreiftes, kurze Blümchenröcke und leichengrüne Strumpfhosen kommt keine Schauspielerin an. Auch ist das Stück von der Regie so angelegt, dass die beiden Darstellerinnen kaum Charme verbreiten dürfen und bei Patricia stets die mürrische Mimik dominiert. Dabei geht es doch in diesem Beziehungsstück auch um das ewige Ränkespiel und die ewige Anziehung zwischen Männern und Frauen. Und Anziehung hat nun mal auch mit Charme und Outfit zu tun.

Regisseur Kübrich mutet den Schauspielern einiges zu. Essen und gleichzeitig Sprechen auf der Bühne gehört zu den besonderen Herausforderungen der Schauspielkunst. Das lösen sie allesamt gut. Anja Neukamm schafft es eindrucksvoll, sich das Fiktionsland Schatzonien samt absurder Sprache vorzustellen. Sehr überzeugend spielt Thomas Leicht die Rolle des Christophe, der die schlecht gelaunte Nathalie aushalten muss. Als Schauspieler nicht zu viel zu machen, besonders auch mit Mimik und Gestik, beherzigt er, obwohl die Situation oft so ist, als müsse er aus der Haut fahren.

"Venedig im Schnee", Theater im Roßstall Germering. Nächste Termine: Freitag, 20. Oktober, Sonntag, 22. Oktober, Freitag, 27. Oktober

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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