Gerechte Ordnung:Wachstumskritik vom Papst

Lesezeit: 2 min

Der Jesuit Friedhelm Hengsbach gehört seit vielen Jahren zu den prominentesten Sozialethikern und Wirtschaftswissenschaftlern der Bundesrepublik. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Sozialethiker Friedrich Hengsbach diskutiert in Olching über die Enzyklika "Laudato si". Die These, dass die Güter dieser Erde allen gleichermaßen gehören sollen, stößt auf Widerspruch

Von Peter Bierl, Olching

Wie groß die Echokammer ist, in der Politiker, sekundiert von Journalisten, über Worthülsen wie Obergrenze fabulieren, während sie reale gesellschaftliche Widersprüche schönfärben, lässt sich schwer sagen. Immerhin dominieren sie damit viele Medien. Ernsthaft diskutiert wird jedenfalls jenseits von Talkshows. Etwa im Brucker Forum, einer Einrichtung der katholischen Erwachsenenbildung, die Friedhelm Hengsbach eingeladen hatte. Etwa 40 Zuhörer kamen am Dienstag ins Olchinger Pfarrheim, um den prominenten Sozialethiker und Wirtschaftswissenschaftler zu hören. Hengsbach, emeritierter Professor, Jesuit und Mitglied im Beirat von Attac, diskutierte über die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus.

Statt ein Pingpong-Spiel zu veranstalten, bei dem das Publikum bloß Fragen an den allwissenden Referenten stellen darf, entspann sich eine echte kleine Debatte, nachdem Hengsbach die Enzyklika vorgestellt hatte, mit einigen kritischen Anmerkungen versehen, klar strukturiert, in einfachen Worten und unprätentiös.

Hengsbach arbeitete zuerst das Neue heraus: Dass der Papst das Werk in der Ich-Form geschrieben hat, statt den Pluralis Majestatis, das herrscherliche "Wir", zu verwenden, dass er deutlich die ökologische Zerstörung des Planeten und die Verelendung großer Teile der Menschheit beschreibt und beides der herrschenden Wirtschaftsweise anlastet. Schließlich betonte der Sozialethiker, dass Franziskus das Privateigentum nicht mehr heiligspreche, sondern mit Rekurs auf die Kirchenväter darauf beharre, dass alle Menschen ein Recht auf die Güter dieser Erde haben.

Weil dieser Punkt auf Widerspruch stieß, präzisierte Hengsbach, dass man zwischen Gebrauchsgütern und Eigentum an Produktionsmitteln unterscheiden müsse. Einige Zuhörer hielten dem Jesuiten entgegen, er stelle die Lage zu negativ dar, viele Unternehmen würden sich bemühen, weniger Rohstoffe und Energie zu verbrauchen. Das allerdings liegt in der betriebswirtschaftlichen Logik und führt zum so genannten Jevons-Paradox: Der Verbrauch pro Gütereinheit sinkt, aber der Gesamtverbrauch steigt, weil die Gütermenge wächst. Wachstumskritik ist denn auch zentral in der Enzyklika. Für Hengsbach sind Dieselabgasskandal und Braunkohleabbau Beispiele dafür, was Politiker durchgehen lassen, um Gewinne von Konzernen zu sichern, während Gewerkschaften wegen der Arbeitsplätze schweigen.

Zwei weitere Faktoren, die der Papst anprangerte, sind technokratisches Denken und Anthropozentrismus, die Vorstellung, die Natur sei nur für den Menschen da. Hengsbach merkte an, dass diese Haltung auch auf das Christentum zurückgehe, was sich an Bibelsprüchen wie "Macht Euch die Erde untertan" zeige, und er kritisierte, dass der Papst zum Naturmystizismus neige: Die Natur sei nicht bloß schön, sondern oft unheimlich und gewalttätig, dazu gehörten auch Krankheit und Tod.

Im Konflikt zwischen Wirtschaft, Umweltschutz und Sozialem sei ein "Ausgleich" notwendig, meinte Hengsbach eher vage. Der Papst setzt auf Einkehr und Umkehr, strukturelle Änderungen müssten von sozialen Bewegungen durchgesetzt werden.

Seine pauschale Kritik am "Konsumismus" ist berechtigt, übersieht aber, dass Reiche mehr Ressourcen verbrauchen als Arme und ein Konzernchef in höherem Maße verantwortlich ist als seine Arbeiter oder Putzfrauen beim Einkauf. Insgesamt geht das "ökosoziale Rundschreiben", wie Hengsbach die Enzyklika nannte, allerdings kaum über Positionen der Umweltbewegung der Siebzigerjahre hinaus. Innerhalb des Katholizismus mögen seine Positionen revolutionär sein. Die Begeisterung über die Enzyklika von 2015 außerhalb der Kirche hängt sicher mit der Prominenz des Verfassers zusammen, verweist aber auch auf die Dominanz der neoliberalen Ideologie. Die Grünen verabschiedeten sich schon um das Jahr 1990 von der Wachstumskritik und setzten auf einen grünen Kapitalismus. Gesellschaftskritisches Denken ist heute marginal, das Bürgertum ist intellektuell ziemlich anspruchslos geworden.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: