Genuss:Lieblingsprojekt

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Nicola Bräunling und Martin Schönleben bei der Teigzubereitung in der Buchhandlung. Im Vordergrund sieht man einige der Gebäcke, die verkostet werden konnten. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Puchheimer Konditor Martin Schönleben hat sein zweites Buch veröffentlicht. Darin stellt er 50 Traditionsgebäcke und ihre Geschichte vor

Von Ingrid Hügenell, Puchheim

Die laue Frühsommernacht duftet nach Käse und Hefegebäck. Kleine Grüppchen stehen im Innenhof der Buchhandlung Bräunling in Puchheim. Die Menschen halten Teller, Servietten und Sektgläser in den Händen. Sie kauen und schmecken. Wohlige Seufzer und verzückte Ausrufe sind zu hören. Denn die etwa 40 Besucher, überwiegend Frauen im mittleren Alter, verkosten Georgi-Drachen und Apostelkuchen, Karfreitagshäute und Kümmelplätzchen, die der Puchheimer Konditor Martin Schönleben mitgebracht hat. Der Bäcker und Konditor aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck steht schwitzend hinter einer Fritteuse, in der er Appenzeller Schinkenkugeln ausbackt.

Drei Minuten müssen sie von jeder Seite brutzeln. Buchhändlerin Nicola Bräunling achtet per Handy auf die Zeit. Backaktion und Verkostung bilden den Abschluss der Vorstellung von Schönlebens zweitem Buch. Der 56 Jahre alte Bäcker und Konditor hat damit sein Lieblingsprojekt verwirklicht: Jahrelang sammelte er Rezepte für Traditionsgebäcke, modernisierte sie behutsam und schrieb zu jedem eine kurze Geschichte auf. Auch einige Originalrezepte und Gedichte oder Sprücherl finden sich in dem handlichen Band "Heimat. Das Backbuch", der in der Insel-Bücherei des Suhrkamp-Verlags erschienen ist.

"Ein Ritterschlag" sei es, dass der renommierte Verlag Schönlebens zweites Werk herausgebracht habe, erklärt die Buchhändlerin. Zwar ist dessen erstes Backbuch "Mini-Törtchen: Verzaubern nicht nur Naschkatzen" im nicht minder renommierten GU-Verlag erschienen, aber das ist eben ein Kochbuchverlag. Das "kleine literarische Werk" des Bäckers sei bei Suhrkamp sehr gut aufgehoben, sagt Bräunling über das Traditionsbackbuch.

Tatsächlich ist Schönleben ein echter Bäcker und Konditor, der in Puchheimtäglich selber in der Backstube steht. "Das andere mach' ich nebenbei", erklärt er. Das andere, das sind nicht nur Backbücher. Schönleben hat auch einen beliebten Blog, in dem es natürlich ums Backen geht. Er postet Rezepte und Bilder, auch Videos, in denen man dem Konditormeister auf die Finger schauen und so lernen kann, wie man eine Torte schichtet oder Pralinen macht. Zuweilen wird er vom Bayerischen Rundfunk eingeladen. Am Donnerstag, 21. Juni, ist er zum zweiten Mal zu Gast in der Sendung "Habe die Ehre!", die von 10 bis 12 Uhr ausgestrahlt wird.

Live beim Backen dabei sein konnten auch die Gäste seiner Buchvorstellung. Denn den Hefeteig mit Kartoffeln für die Schinkenkugeln haben der Bäcker und die Buchhändlerin vor Publikum zusammen in einer vergnüglichen Stunde hergestellt. "Soulfood" seien die Kugeln, sagt Schönleben, "Gaumenschmeichler". Ein typisches Faschingsgebäck. Zu jedem Fest im Jahreskreis habe früher auch ein bestimmtes Gebäck gehört, erklärt Schönleben, während er Zwiebeln schneidet.

Die 50 Traditionsgebäcke sind in seinem Buch entsprechend angeordnet: Es beginnt mit der Neujahrsbreze und endet mit dem Milchküchlein zu Silvester. Dazwischen sind Wolfszähne ebenso aufgeführt wie Thorner Kathrinchen oder Dreifaltigkeitsknöpfe. Auch Rezepte für Gebildbrote sind dabei. Die hätten eher die Bäcker als die Hausfrauen gebacken, erklärt Schönleben. Dazu gehören die Georgi-Drachen ebenso wie allerlei Ostergebäcke und Sonnenweckl für den Johannitag, die Sommersonnwende. Schönleben legt Wert darauf, in seinem Café und seinem Laden nur Gebäck zu verkaufen, das jahreszeitlich dran ist. Nach Aschermittwoch gebe es etwa keine Krapfen mehr. Stattdessen gibt es an Gründonnerstag die Kümmelplätzchen. Wenn man die isst, so steht es im Buch, werde man das ganze Jahr von keinem Floh gebissen. Der Gründonnerstag sei im Volksglauben einer der zauberkräftigsten Tage im ganzen Jahr gewesen. Bei den Plätzchen langen nachher alle kräftig zu, was aber wohl an deren feinem Geschmack liegt und nicht an einer eventuellen Flohplage in Puchheim.

Während Schönleben arbeitet, liest Bräunling aus dem Buch vor, etwa die Geschichte zu den Mutscheln, einem einfachen Hefegebäck aus Reutlingen, um das früher gewürfelt wurde, wie Schönleben herausgefunden hat. Die Spiele hießen "Der lange Entenschiss", "Der Wächter bläst vom Turme" und "Das nackerte Luiserl". Das Gebäck könnte schon aus keltischer Zeit stammen. So jedenfalls wird es dem Buch zufolge in Reutlingen erzählt.

Die Gäste hören amüsiert zu, immer wieder wird laut gelacht. Das durchaus fachkundige Publikum nutzt die Gelegenheit, Fragen zu stellen: nach dem Mehl, nach der Hefe, wie lange der Teig gehen muss. Die Hefe sei frisch, Trockenhefe funktioniere aber auch, sagt Schönleben. Und weil es so warm ist an diesem Abend, ist der sehr weiche Teig nach einer Stunde genug gegangen. Mit einem Eisportionierer, wahlweise zwei Löffeln, sticht er kleine Kugel ab und lässt sie ins heiße Fett gleiten. Mit dem Versprechen: "Ich tu' keine Kalorien rein."

Schönlebens Geschäft läuft gut, anders als viele andere Handwerksbäckereien. Er hat einen Bäcker und einen Konditor angestellt. Drei Verkäuferinnen, darunter seine Frau, und einige Teilzeitkräfte bringen die Ware an die Kunden. Er hat drei Auszubildende, sogar einen Bäckerlehrling. Das Geschäft, dass er 1999 von den Eltern übernommen hat, werden Schönlebens Kinder aber eher nicht weiterführen. Beide haben andere Berufe erlernt, sagt der Konditormeister mit leisem Bedauern.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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