Gemeinsam mit Flüchtlingen:Grafrather singen für Frieden

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Das unterhaltsame und mit viel Gefühl dargebotene Spiel von Kiko Pedrozo an der Harfe (links), Finni Melchior an der Geige und Hansi Zeller am Akkordeon macht nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die kleinen Gäste des Konzerts zu aufmerksamen Zuhörern. (Foto: Günther Reger)

Der örtliche Asylkreis veranstaltet ein Benefizkonzert für die Kriegsopfer in der syrischen Stadt Afrin. Es wird Weltmusik gespielt und Geld für eine Dialysestation gesammelt

Von Ekaterina Kel, Grafrath

Es ist früher Sonntagabend. Auf den Straßen von Grafrath ist keine Menschenseele zu sehen. Die Bewohner sitzen alle in der Michaelkirche. Tatsächlich ist dort kein einziger Sitzplatz mehr frei, sogar zum Stehen bleibt nicht mehr viel Platz, die Menschen drängen sich an der Wand im Eingangsbereich, um dabei sein zu können. Wobei? Der Grafrather Asylkreis veranstaltet ein Benefizkonzert für die Opfer des türkischen Angriffs auf die nordsyrische Stadt Afrin.

Eingeladen sind drei Musiker, die ein Repertoire der Weltmusik spielen. Weltmusik ist eins von diesen Wörtern, das eigentlich keiner recht eindeutig erklären kann, das aber meistens trotzdem eindeutige Assoziationen hervorruft. Ein exemplarisches Beispiel davon lieferten drei Musiker in der Michaelkirche. So klingt nämlich Weltmusik von in ihrer besten Form. Hansi Zeller aus dem Allgäu, Finni Melchior vom Ammersee und Kiko Pedrozo aus Paraguay eröffnen mit ihrem Spiel tatsächlich, wie angekündigt, ganze Klangwelten.

Allein die Kombination aus Akkordeon, Geige und Harfe verspricht Ausflüge in verschiedene musikalische Traditionen. Die drei Musiker wissen aber auch, wie sie die drei stolzen Instrumente zu einem dankbaren Konzerterlebnis verbinden können, bei dem der ganze Saal still und andächtig über eine Stunde lang zuhört.

Der Grund für die andächtige, konzentrierte Stimmung lag an diesem Sonntag allerdings nicht nur in der musikalischen Darbietung der Gäste. Über dem wohligen Augenblick, bei dem ältere Grafrather Kirchengänger still zuhörten und kleine Kinder auf den Schößen ihrer Eltern verträumt hin- und herwuselten, hing eine bedrückende Ahnung. Die Vorstellung davon, wie unsicher Alt und Jung in der syrischen Stadt Afrin, im nordwestlichen Zipfel des Landes, sind. Bilder von zerstörten Häusern und umkämpften Landstrichen. Das Wissen um die Belagerung der Stadt von der türkischen Armee und radikalen Milizen.

"Seit 35 Tagen verlässt dieses Gerät eigentlich nie unsere Hand", sagt Adel Nibu und hebt sein Handy hoch. Er steht auf der Bühne der Michaelkirche, hinter ihm 15 Frauen, Männer und Kinder - sie sind allesamt aus Afrin und leben mittlerweile als Flüchtlinge im Landkreis Fürstenfeldbruck. Nibu, der sich ehrenamtlich im Grafrather Asylkreis für Flüchtlinge engagiert, hat sie nach vorne auf die Bühne geladen, um sie allen Anwesenden im Saal vorzustellen. "Damit ihr die Gesichter seht. Sie haben alle Freunde und Familie in Afrin. Sie wissen, wie es dort zugeht." Nibu selbst erzählt, dass seine Eltern am Samstag aus ihrem Haus in Afrin flüchten mussten, "weil die Dschihadisten in einem Kilometer Luftlinie" seien. Seine Stimme wird brüchig, sein Gesicht sehr ernst. Es ärgere ihn besonders, dass nichts mehr über die Belagerung seiner Heimatstadt in den deutschen Medien zu lesen sei. "Die Menschen brauchen Hilfe", sagt er nur noch, da tippt ihn seine Kollegin vom Asylhelferkreis an und flüstert ihm etwas ins Ohr. Wahrscheinlich hat sie ihn an den Grund erinnert, warum die Menschen hier in der Kirche versammelt sind: Der Asylkreis sammelt Geld für die Unterstützung einer Dialysestation. Ein kleiner Beitrag, aber vor allem ein symbolischer Akt. Die Versammelten werden noch stiller, als sie es schon waren, als Nibu die katastrophalen Verhältnisse vor Ort beschreibt. Mit den eingeladenen Musikern zusammen singen sie im Kanon: "Wir reichen uns die Hand/Senden unsere Liebe/Über alle Grenzen/Werde Friede", und halten sich dabei reihum an den Händen.

Nibu sagt zum Schluss seiner emotionalen Rede: "Ich hoffe, dass wir mit unserer Hilfe etwas bewegen können." Danach lädt er Fauaz Nazan auf die Bühne. Der Mann ist ebenfalls aus Afrin und lebt seit drei Jahren mit seiner Familie in Deutschland. Dass er ein begnadeter Langhalslautenspieler ist, braucht Nibu gar nicht anzukündigen, das beweist Nazan den Zuhörern ganz von allein und schon nach den ersten Tönen. Nur leider lassen sich seine akrobatischen, fein ausgeübten und seelenruhig präsentierten Fingerübungen auf der elektrischen Langhalslaute, oder Tanbur, wie es auf Kurdisch heißt, kaum genießen. Denn der völlig falsch platzierte und übertriebene Hall, der hastig und unüberlegt innerhalb von zwei Minuten auf dem Mischpult eingestellt wurde, verzerrte vollkommen den Ursprungssound von Nazads Tanbur und machte seinen Auftritt eher zu einem Kuriosum als zu einem Genuss.

So lautete das Urteil vieler Zuhörer nach dem Konzert wie das von einer älteren Grafratherin: "andere Kultur - andere Musik". "Der Asylkreis ist hier in Grafrath bestens bekannt", sagt die Besucherin. "Wir sind gekommen, um sie zu unterstützen." Nach dem Programm gibt es ein üppiges Buffet mit Couscoussalaten, Teigtaschen und Köfte. Das lassen sich die Gäste nicht zweimal sagen.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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