Fürstenfeldbruck:Zum Frieden gezwungen

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Am Ende des Zweiten Weltkriegs übernimmt die amerikanische Armee die Verwaltung im Landkreis. Vom Nationalsozialismus unbelastete Menschen werden von den Besatzern in Ämter eingesetzt, und in Emmering wird ein Gefangenenlager für 50 000 Soldaten errichtet. Die größten und kaum zu lösenden Probleme aber sind Hunger und Kriminalität

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

"Die Moral und Haltung der deutschen Bevölkerung war extrem gut", bilanzierte der amerikanische Captain John Mc Bride im Dezember 1945. Die Vorweihnachtszeit stimmte den Leiter der Brucker Militärregierung möglicherweise milde, als er diese Zeilen verfasste, denn die Amerikaner mussten sich mit einer hohen Kriminalität, fehlenden Wohnungen, Lebensmitteln und Heizmaterial herumschlagen und die überlebenden Opfer der Nationalsozialisten versorgen. Dabei verfügten sie in den ersten Monaten nach Kriegsende nur über einen kleinen Verwaltungsapparat.

Unmittelbar nach dem Einmarsch am 30. April etablierten die Amerikaner das Military Government Detachment of Fürstenfeldbruck. Eine Einheit aus acht Offizieren und sechs einfachen Soldaten übernahm die zivile Verwaltung des Landkreises, anfangs allein, vom 15. November an als "supervisory capacity" gegenüber den deutschen Behörden, also als vorgesetzte, überwachende Institution. In "War Diaries", Kriegstagebüchern, später Monats- und Vierteljahresberichten, die im bayerischen Hauptstaatsarchiv erhalten sind, haben die amerikanischen Verwalter die Situation im Landkreis und die Stimmung festgehalten.

Sie verhängten ein striktes Ausgehverbot. Anfangs durften die Brucker nur von 11 bis 13 Uhr, später von 7 bis 20 Uhr aus dem Haus gehen. Bürgermeister und Landrat wurden abgesetzt und zusammen mit der lokalen NS-Führung interniert. Insgesamt sperrten die Amerikaner etwa 200 Menschen ein, übersahen dabei jedoch einige Leute, wie etwa den Bezirksarzt Hans Steger, der für über 100 Zwangssterilisierungen verantwortlich gewesen war. Im Sommer folgten weitere Entlassungen aufgrund von NS-Betätigungen, von denen fast 200 Angehörige der Feuerwehr und über 180 Lehrer betroffen waren. Ärzte durften nicht mehr praktizieren, Unternehmer nur als Arbeiter tätig sein.Provisorisch hatten die Amerikaner neue Bürgermeister ernannt, unbelastete Katholiken oder Sozialdemokraten. Einige Tage amtierte der ehemalige Münchner Polizeipräsident Julius Koch als kommissarischen Landrat, der am 25. Mai durch Hans Miller aus Mammendorf ersetzt wurde. Der durfte keine Entscheidung ohne Genehmigung der Besatzungsmacht fällen und war bis Februar 1946 tätig, als die neue Landkreisordnung in Kraft trat und bald darauf die ersten Wahlen abgehalten wurden.

Zunächst mussten die Amerikaner den Landkreis militärisch sichern. Immer wieder entdeckten Militärpolizisten geheime Waffendepots, die Amerikaner fürchteten bewaffnete Banden und die Furcht vor nazistischen Werwolf-Kämpfern wirkte nach. Die Verbrechensrate stieg. Der Jahresbericht 1945/46 listet 192 Raubüberfälle, 512 Einbrüche, 483 Diebstähle und 1322 geklaute Räder auf, 76 Körperverletzungen im Zusammenhang mit Schwarzmarktgeschäften und zehn Morde. Als Folge des NS-Regimes galt ein Menschenleben nicht viel, resümierten die Amerikaner. Dazu kamen 175 Selbstmorde. Nach Angaben des Brucker Wirtschaftshistorikers Klaus Wollenberg musste das amerikanische Gericht bis Juni 1946 in über 1100 Fällen urteilen. Das Gefängnis des Amtsgerichts war "usually overcrowed" - gewöhnlich überfüllt - heißt es in einem Bericht.

Ein amerikanischer Militärpolizist hält ein Kind in München im Arm. (Foto: SZ-Photo)

Die Not, eine gewisse Verrohung aber auch Moralvorstellungen spielten eine Rolle. So registrierte die "Sittenkontrolle" der Brucker Polizei in den Nachkriegsjahren über 1600 Personen, die sich verdächtig gemacht hatten oder der Prostitution beschuldigt wurden, überwiegend erwerbslose und obdachlose Frauen. Rassistische Vorurteile spielten eine Rolle wie der Begriff "Negerbraut" im Polizeireport anzeigt. Vielen war es ein Ärgernis, dass sich deutsche Frauen mit Amerikanern einließen, ganz besonders dann, wenn es sich um schwarze GIs handelte. So klagte der Allinger Pfarrer über Tändeleien deutscher Frauen: "Sogar Bekanntschaften mit Schwarzen gab es, zum Glück nur bei zwei oder drei Ehrvergessenen."

Eine große Rolle spielt in den Erinnerungen die Versorgung mit Lebensmitteln. Im Hotel Post in Bruck waren immer wieder amerikanische Soldaten einquartiert, die selber kochten, so dass die Besitzerin Therese Weiß den American Way of Life direkt beobachten konnte. "Die amerikanische Kost ist gut, vielseitig, scharf gewürzt", schrieb Weiß in ihrer Chronik. Nicht bloß die Offiziere, sondern auch einfache Soldaten würden gut verpflegt. "Wir leben von deren Abfällen, soweit ist es schon gekommen", notierte sie. Der spätere Brucker Stadtrat Helmut Geys kam bei Verwandten an der Polzstraße unter, weil das Haus der Familie in München ausgebombt worden war. Er hackte Holz, die Oma spann Wolle, wofür ihr die Bauern Gemüse gaben, der Garten wurde zum Kartoffelacker. Zu Weihnachten gab es ein Kilo Pferdefleisch, das eine Woche lang in Essig mariniert worden war.

Im Juli 1946 bekamen Erwachsene auf Lebensmittelmarken vier Kilo Brot, 500 Gramm Fett, 800 Gramm Fleisch, 312 Gramm Käse, zwölf Kilo Kartoffeln und 125 Gramm Zucker pro Monat. Begehrt waren Zucker, für ein Pfund zahlten manche 1946 bis zu 180 Reichsmark, für ein Pfund Kaffee ein Jahr später bis zu 400 RM. Und weil die Schachtel Zigaretten auf 80 RM kam, legten manche kleine Tabakpflanzungen im Garten an.

Auf dem Land sei es so schlecht nicht gewesen, erzählt Gisela Oldenburg aus Germering, vorausgesetzt, man hatte noch etwas Wertvolles zum Tauschen. "Die Bauern hatten alles, fehlte bloß noch der Persianer für den Kuhstall", sagt sie. Ihre Einschätzung wird durch eine Statistik vom Januar 1947 gestützt. Demnach lebte ein Drittel der Flüchtlinge, die alles verloren hatten, von öffentlicher Unterstützung, aber nur rund 2,9 Prozent der Einheimischen.

Dass es für viele nicht ganz so schlimm gewesen sein kann, darauf verweist der Umstand, dass allein aus Esting in der ersten Maiwoche 60 000 Portionen "guten Essens" an Tausende von deutschen Kriegsgefangenen geliefert wurden, die in einem Lager bei Emmering kampierten, wie der Estinger Benefiziat Alois Bendert schrieb. Die Amerikaner hatten das "Oklahoma POW-Camp" am 30. April für etwa 70 000 Gefangene angelegt. Anfangs war die Versorgung schlecht. Die Männer wurden ab Ende Juni entlassen, wobei jeder auf eine Blutgruppentätowierung untersucht wurde, um SS-Angehörige herauszufischen. Etwa 1500 bis 2000 Angehörige der Waffen-SS wurden nach Dachau und Bad Aibling verlegt. Aufgelöst wurde das Gefangenenlager im Sommer, das Land, auf dem die Soldaten gelebt hatten, soll wie eine Mondlandschaft ausgesehen haben.

Auch in Fürstenfeldbruck kümmerten sich die US-Soldaten um die Versorgung der Jüngsten. (Foto: Gemeindearchiv Mammendorf – Sigi-Späth-Sammlung.)

Benzin war heiß begehrt. Die Bestände der US-Army wurden rot gefärbt, um Schmuggler und Diebe zu überführen. Der Arzt Peter Voll, der die Kegelbahn im Offiziersclub im Fliegerhorst sowie den Bichlerbräu, damals ein Club des Roten Kreuzes, mit Fresken ausmalte und mit Zigaretten bezahlt wurde, erzählte später, dass er und seine Kumpel das Benzin deshalb immer mit blauer Ölfarbe versetzten. Ein tatsächlicher Engpass tat sich bei den Wohnungen auf. Bei Kriegsende lebten in Bruck über 10 000 Menschen, davon waren über 1700 Flüchtlinge. Ihnen standen etwa 1300 Häuser mit 2400 Wohnungen zur Verfügung. Viele echauffierten sich darüber, dass die Amerikaner für sich und für überlebende KZ-Opfer Wohnraum beschlagnahmten. Im Mai 1947 handelte es sich um 128 Häuser mit 225 Wohnungen, die die Amerikaner, das Flüchtlingswerk der UN sowie das Jüdische Komitee von Fürstenfeldbruck requiriert hatten.

Der Brucker Stadtrat Michael Neumeier (SPD) forderte eine "unterschiedslose Behandlung" bei der Wohnungsvergabe, das Jüdische Komitee sollte die Zuständigkeit für seine Leute abgeben. Im Stadtarchiv findet sich ein Dokument, in dem ein Mitarbeiter der Stadt schrieb: "In etwa 40 Fällen haben die Juden von der jeweiligen Wohnung das schönste und größte Zimmer." Er rechnete aus, dass sich 1,67 Überlebende ein Zimmer teilen müssten, aber 2,02 der deutschen Einheimischen.

Die Versorgung der Displaced Persons war eine Hauptaufgabe der Amerikaner, bis das Flüchtlingshilfswerk der UN im August übernahm, hat Wollenberg festgestellt. Im Sommer 1944 schufteten über 2600 Zwangsarbeiter im Landkreis, die Jüngsten waren fast noch Kinder. Es gab kaum einen Betrieb oder Bauernhof ohne Arbeitssklaven aus Osteuropa. Die Amerikaner richteten für etwa 3000 frühere Zwangsarbeiter vier Camps in Germering, Emmering, Gernlinden und Bruck ein. Diese Menschen wurden von der Bevölkerung bezichtigt, allerlei Diebstähle, Raubüberfälle und Plünderungen zu begehen. Das mag in etlichen Fällen zutreffen und wäre angesichts des erlittenen Unrechts verständlich. Die Darstellungen der Zeitzeugen zeigen, dass manche sich noch nicht daran gewohnt hatten, nicht mehr Herrenmenschen zu sein. Die Polen seien eine "schreckliche Landplage", berichtete der Pfarrer von Aufkirchen. "Das große Wort führen jetzt KZ-ler. Sehr frech benehmen sich die Russen und Polen", klagte Therese Weiß. "Alle Ausländer und Kriegsgefangenen fühlten sich befreit" und hätten seit dem Einmarsch der Amerikaner "nichts mehr gearbeitet".

Der Pfarrer von Unterpfaffenhofen berichtete über eine Plünderung von Heeresbeständen der Wehrmacht, "in der Hauptsache von Einheimischen. Gerade auch wohlhabende Kreise haben sich dabei schmählich benommen". Die Brucker machten pauschal "die Juden" für den Schwarzmarkt verantwortlich, heißt es in einem Bericht der Amerikaner, dabei seien gleichermaßen Deutsche, GIs und DPs beteiligt.

Im Herbst 1945 kursierte das Gerücht, die Amerikanern würden den Displaced Person erlauben am 8. und 9. November deutsche Häuser zu plündern und anzuzünden. An beiden Tagen gab es verstärkte Patrouillen, aber nichts passierte. Das Gerücht war wohl ein typischer Fall von Projektion von Verbrechen auf andere, dazu passt das Datum, das an die Pogromnacht von 1938 erinnerte. Der Gröbenzeller Historiker Kurt Lehnstaedt hat dokumentiert, wie der Antisemitismus im Sprachgebrauch weiterwirkte. Die Betreuungsstelle für politisch Verfolgte verwendete die Kategorien der NS-Rassengesetzgebung und über eine "Volljüdin" oder einen "Mischling 1. Grades" und das Ernährungsamt Olching vermerkte 1946 hinter den Namen jedes Einwohners jeweils ein "D" oder ein "J" für Deutsche und Juden.

Die Amerikaner hingegen luden Brucker Kinder am ersten Weihnachtstag 1945 in den Fliegerhorst ein, wo es Gans, Huhn und Truthahn zu essen gab, dazu einen Beutel mit Schokolade, Bonbons, Äpfeln und Nüssen vom Nikolaus.

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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