Fürstenfeldbruck:Zerplatzte Träume

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Für das Stück "Tod eines Handlungsreisenden" erhielt Autor Arthur Miller 1949 den Pulitzer-Preis. Im Rahmen der Reihe "Theater Fürstenfeld" war es jetzt im Brucker Stadtsaal zu sehen. (Foto: Günther Reger)

In Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" spielt der Schauspieler Helmut Zierl die Verwahrlosung seiner Hauptfigur ebenso brutal wie brillant

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Einer der ergreifendsten Effekte während der Aufführung von Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" im Veranstaltungsforum Fürstenfeld war wahrscheinlich ungeplant: Während die Söhne seiner Rolle, des erfolglosen Vertreters Willy Loman, über gewiss bald eintretende berufliche Erfolge philosophieren, trifft ein Scheinwerfer die Brille von Hauptdarsteller Helmut Zierl. Für einen kurzen Moment scheinen seine Augen zu leuchten. Es ist, als würde Hoffnung in ihm aufkeimen, darauf, dass vielleicht alles wieder gut wird, so wie er es sich und anderen die ganze Zeit einredet. Doch das Leuchten bleibt nur eine Sekunde. Dann ist es weg und zurück ist die gnadenlose Aussichtslosigkeit, die Willy Lomans Leben prägt.

Das Gastspiel im Stadtsaal im Rahmen der Reihe "Theater Fürstenfeld" war die letzte Aufführung der gemeinsamen Produktion des Euro-Studios Landgraf und der Schauspielbühnen Stuttgart. Premiere hatte die Inszenierung von Regisseur Harald Demmer, die mit dem Inthega-Theaterpreis ausgezeichnet wurde, bereits 2017. Schon 1949, als Arthur Miller sein Drama an den Broadway brachte, wurde ihm der Pulitzer-Preis für Theater verliehen. Es war und ist nach wie vor so kontrovers wie mutig, auf der Bühne eine Geschichte zu erzählen, die von Verzweiflung vorangetrieben wird und in Selbstmord endet. Und es ist, und war gewiss auch für damalige Zuschauer, stellenweise nur schwer zu ertragen, diese dramatische Entwicklung mitanzusehen.

Willy Loman ist ein Mann, dessen amerikanischer Traum zerplatzt ist. Jahrzehnte ist er für seine Firma als Vertreter umhergereist. Nun ist das Geld knapp, die Schulden häufen sich. Es geht bergab, doch eingestehen kann er sich das nicht. Stolz und Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Familie, seiner Frau und den beiden Söhnen, zwingen ihn dazu, sich immer weiter in ein Lügengespinst zu verstricken, das er bald selbst für real hält. Irgendwann erträgt er es nicht mehr. Dort, am Ende von Millers Originalversion, bei der Beerdigung des Handlungsreisenden, setzt Demmers Interpretation ein.

Die Inszenierung versteht es, eine permanent unheildrohende Atmosphäre zu kreieren. Das Bühnenbild, die Wohnung der Lomans, ist ein Kasten, der das Gefühl von Eingesperrt-Sein bis in den Zuschauerraum transportiert. Gerahmt von irritierenden Jahrmarktlichtern, ist sie aber gleichzeitig eine Bühne auf der Bühne, auf der Lomans Leben von Anfang an als Schauspiel abläuft. Die beißenden Toneffekte, meist in den Szenen, wenn alles für einen kurzen Augenblick in Ordnung zu sein scheint, tun ihr Nötigstes dazu, stets daran zu erinnern, dass in diesem Stück gar nichts in Ordnung ist. Und das Verwischen der Zeit- und Wahrnehmungsebenen durch unklar platzierte Rückblenden macht die Darbietung zu einer stellenweise befremdlich ungreifbaren Masse.

Helmut Zierl spielt Willy Loman oft frontal zum Publikum. Er ist physisch isoliert, auch dann, wenn er mit anderen Darstellern interagiert. Dieser Loman hat Anflüge einer Borderline-Persönlichkeit, er schwankt zwischen den Gefühlsextremen, zwischen Zusammenbruch und Selbstbetrug. Die Art und Weise, wie Zierl die zunehmende Verwahrlosung seiner Figur, sprachlich, optisch und geistig, auf die Bühne bringt, ist brutal und brillant.

Nicht weniger leicht mitanzusehen, ist das je unterschiedliche Leiden von Lomans Frau Linda (Patricia Schäfer) und seinen Söhne Biff (Julian Härtner) und Happy (Marcel Schubbe). Marcel Schubbes Happy wirkt glücklich, nahezu überdreht, doch er ist es nicht, nur infiziert von der väterlichen Kunst der Selbsttäuschung. Julian Härtners kraftvolle Darstellung fällt vor allem in dem heftigen Showdown zwischen Vater und Sohn auf, wenn sich Biff gegen den toxischen Schein-Optimismus seines Vaters wehrt. Und Patricia Schäfer hat ihren stärksten Moment, als Linda ihren Kindern offenbart, dass sie die Lebenslüge ihres Mannes durchschaut hat, aber mitspielt, aus Liebe.

Die Frage, die wie eine Giftwolke über den einzelnen Szenen hängt, ist, ob die anderen den Suizid des Protagonisten hätten verhindern können. Die Antwort ist: ja. Immer wieder werden ihm Auswege angeboten, doch wirklich zuhören kann ihm keiner. Bei der Beerdigung wundert sich Linda, wieso ihr Mann sich gerade jetzt, wo es finanziell doch aufwärts geht, das Leben genommen hat. Demmers Inszenierung macht das ganz klar. Doch sie hat es nicht verstanden.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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