Fürstenfeldbruck:Wenn Miniaturgebäude zu Booten werden

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Der spannende Moment: Mitglieder der Wasserwacht setzen die Luzienhäuschen an der Amperbrücke in den Fluss. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das Luzienhäuschen-Schwimmen in Fürstenfeldbruck ist wieder eine Publikumsattraktion in der Adventszeit

Von Johanna Kleinert, Fürstenfeldbruck

Außergewöhnlich sind schwimmende Gebäude alleine deswegen, weil es, zumindest in europäischen Breitengraden, nicht in der Natur ihrer Konstruktion liegt, auf flüssigem Grund errichtet zu werden. Begegnete dem ein oder anderen also ein treibendes Haus, wies dies zunächst auf ein besonders tragisches, auf jeden Fall aber herausragendes Ereignis hin. Einmal im Jahr, am Gedenktag der heiligen Lucia, hält ein solches Ereignis Einzug in Fürstenfeldbruck. Grundschüler der Kreisstadt setzen selbstgebaute, von Kerzenlicht ausgeleuchtete Miniaturbauten, die Luzienhäuschen, auf die Amper. Erinnern will man damit an die Märtyrerin, die die Stadt im 18. Jahrhundert vor einem Hochwasser bewahrt hatte.

"Zwischen 240 und 250 Gebäude haben die Kinder in diesem Jahr gebastelt. Zum ersten Mal nahm auch die Emmeringer Grundschule teil. Es ist schön, dass immer mehr Schulen mitmachen", sagte der Bürgermeister Erich Raff in einer kurzen Ansprache. In den Vorjahren waren ausschließlich Schulkinder aus Fürstenfeldbruck für die Gestaltung der Luzienhäuschen verantwortlich. Das bestätigte auch Anna Haupt, die die Festlichkeit in diesem Jahr zum ersten Mal als Mitglied der Wasserwacht begleitet. "Als Kind habe ich jedes Jahr am Luciafest teilgenommen, weil ich aber aus Emmering komme, konnte ich nur zuschauen, habe also nie selbst ein Gebäude gebastelt", erklärte Haupt. Wirklich viel habe sich dann aber doch nicht verändert, findet sie, außer natürlich, dass die Anzahl der Häuser gewachsen sei. Auch die Drohne, die das Geschehen kreisend über den Köpfen der Zuschauer verfolgt, dürfte einer traditionellen Ausrichtung des Festtags eher gegenläufig sein.

Gedacht wird der heiligen Lucia, deren Namen mit "die Leuchtende" übersetzt werden kann, am 13. Dezember. Vor der Einführung des gregorianischen Kalenders markierte dieses Datum die Wintersonnenwende. An ebendiesem Tag erreichte das Hochwasser in Fürstenfeldbruck den höchsten Stand. Die Bewohner fürchteten um ihren Besitz. Deshalb entschloss sich die Gemeinde, die Heilige anzurufen. Schulkinder konstruierten kleine Bauwerke und setzten sie auf den Fluss, der Fürstenfeldbruck durchfließt und dessen Wasserstand damals viel zu hoch war. Auf wundersame Weise ging der Pegel zurück, von da an trieben die schwimmenden Häuschen jedes Jahr die Amper hinunter.

Konstantin, der die dritte Klasse besucht, hat sich für den Bau einer Ritterburg entschieden. Zwei Taschentuchboxen hat er dazu rot bemalt, die Fenster mit Transparentpapier verkleidet. Drei Schulstunden dauerte es, bis er das Resultat in seinen Händen halten konnte. Keines der Häuser, das die Dritt- und Viertklässler anfertigten, gleicht einem anderen. Vor dem Restaurant "Venezia", dessen Lichter sich im dunklen Amperwasser spiegeln, reihen sich die Nachbildungen in Erwartung auf die Segnung. Ein Gutshof ganz in Gold gehüllt, glänzt neben Bambushütten und Baumhäusern, Pyramiden und Tipis. Auch die Brucker Erlöserkirche und ein Lebkuchenhaus mit Windrad sind zu sehen.

Die Aufregung steigt. Während der Einführung durch Pfarrer Otto Gäng und Pastor Valentin Wendebourg müssen die Grundschüler zur Ruhe ermahnt werden. "Lucia war vieles, aber bestimmt keine laute Person, liebe Kinder", befand Gäng. Nach der Segnung der Luzienhäuschen entzünden die Geistlichen die Kerzen im Inneren der Häuser an der Osterkerze. Dann werden die Gebäude aus Pappkarton, Kork und anderen ökologisch abbaubaren Materialien zu Wasser gelassen.

Walmdächer, Flachdächer, Satteldächer gleiten den Fluss, dessen Oberfläche durch den schneidend kalten Wind ein wenig aufgewühlt ist, entlang. Kurz vor der Stelle, an der die Grundschüler aufgereiht am Ufer stehen, verhängen sich einige der Boote an den Findlingen, die das Ufer fixieren. Die Wasserwacht muss die festgekeilten Nachbildungen mit langen Stäben wieder in die Strömung befördern. Zur Freude der Schüler passierten fast alle Gebilde sogar die Stromschnelle vor der Brücke, die so vielen Miniaturgebäuden in den vergangenen Jahren zum Verhängnis wurde. Wie lange ein Haus auf dem Wasser schwimmen kann, obliegt dann eben doch den Gesetzen der Physik.

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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