Fürstenfeldbruck:Wenn der liebe Onkel zum Monster wird

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Die Aufführung "Tabu" über sexuellen Missbrauch wird von den Schülern der Berufsschule mit gemischten Gefühlen aufgenommen. (Foto: Carmen Vorxbrunner)

Die Theatergruppe "Bühnengold" versucht die Fürstenfeldbrucker Berufsschüler für das Thema sexuelle Gewalt zu sensibilisieren. Mit dem Gastspiel ihres Stückes "Tabu" gelingt das auch. Eindringliche Szenen hinterlassen ein nachdenkliches Publikum

Von Katharina Knaut, Fürstenfeldbruck

Sexuelle Gewalt kann jeden treffen, in jeder Situation - in der Arbeit, in der Schule, auf der Straße, sogar im Kreis der Familie. Das veranschaulicht das Stück "Tabu", das die Theatergruppe "Bühnengold" am Montag für die Fürstenfeldbrucker Berufsschüler aufführte.

Mit nur drei Stühlen und einem Tisch stellt der Schauspieler mit seiner Kollegin in rascher Folge verschiedene Szenen von sexueller Belästigung dar. Eben noch bedrängt ein betrunkener junger Mann auf der Straße eine Lehrerin mit anzüglichen Sprüchen, im nächsten Moment hält eben jene Lehrerin den Sportunterricht ab, bei dem sie aufgewühlt einen ihrer männlichen Schüler während des Aufwärmens beobachtet. Eben dieser trifft sich kurz darauf mit seiner Freundin, die er so lange mit einer Mischung aus manipulativen Aufmerksamkeiten und demonstrativem Desinteresse bearbeitet, bis sie ihren Widerstand aufgibt und widerwillig mit ihm schläft. Ist sie gerade zum Opfer geworden, hatte sie sich kurz davor selbst schuldig gemacht: Sie versuchte ihren Lehrer für einen besseren Notenschnitt zu verführen.

Es ist eine eindringliche Inszenierung zu einem hoch brisanten Thema, in der die Emotionen - Unbehagen, Widerwillen, Wut und Verzweiflung - geradezu authentisch wiedergegeben werden. Das Publikum nimmt das Stück mit gemischten Gefühlen auf. Einige Szenen lösen Unruhe aus, zuweilen aber auch Desinteresse. Letzteres überwiegt, als die Schauspieler am Ende das junge Publikum zum Gespräch mit ihnen aufmuntern. Nur zögerlich heben sich ein paar Hände. So kommt die Sprache etwa auf den Titel des Stückes. "Warum heißt das Stück ,Tabu'?", will die Schauspielerin von den Schülern wissen. "Tabus werden darin gebrochen", meint ein Jugendlicher. "Es sind Tabuthemen, über die nicht gesprochen wird", lautet die Erklärung eines Mädchens. Aber das war es dann schon. Nach zehn Minuten zerstreut sich das Publikum.

Ganz unberührt hat das Stück die Berufsschüler aber dennoch nicht gelassen. Bestimmte Szenen kommentieren sie mit Ausrufen und aufgeregtem Gemurmel. Als der Onkel sich an der schlafenden Nichte vergeht, hebt ein Gemurmel und Getuschel an. Es fängt ganz harmlos an: Zunächst ist es einfach nur ein freundlicher Onkel, der sich mit seiner kleinen Nichte einen Film ansieht. Doch kaum ist sie eingeschlafen, beginnt er sie zu streicheln, über den Kopf, über den Rücken, über die Hüfte. Das sei die schlimmste Szene gewesen, darin ist man sich am Ende einig. Aber auch die anschauliche Darstellung in einem Büro weckt bei einigen Interesse. Ein Chef bedrängt seine Mitarbeiterin, mit ihm zu schlafen, da er sie ansonsten entlasse. "Und das wäre schließlich sehr schmerzlich für ihre Kinder." Er flößt ihr auf diese Weise so viel Angst ein, dass sie seine Avancen schließlich widerstrebend und mit sichtlichem Unbehagen zulässt.

"Sexuelle Gewalt oder Belästigung hat viel mit dem Ausnutzen einer Machtposition zu tun", erklärt die Schauspielerin hinterher. Das sei unter anderem eine Botschaft, die sie mit dem Stück näher bringen wollen. Dabei scheuen sie auch nicht recht eindeutige Darstellungen. "Manche Szenen waren sehr krass. Ein paar waren auch zu extrem", findet Schülerin Vanessa Pechler. "Aber es wurde sehr gut rübergebracht." Ihrer Meinung nach ist es wichtig, das Thema anzusprechen. Manches sei ihr auch bekannt vorgekommen. Derbe Anmachsprüche, wie der betrunkene Mann sie gegenüber der Lehrerin ausstieß, habe sie ebenfalls schon erlebt. "Vor allem in der S-Bahn wird man öfter angepöbelt." Diese Szene wurde am Ende auf Nachfrage der Schauspieler auch als die harmloseste Darstellung angesehen. "Da ist man einfach dran gewöhnt", meint ein Schüler: "Das passiert ständig."

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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