Fürstenfeldbruck:Was nach dem Ende bleibt

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Über die Jahrhunderte haben sich Bestattungsriten und Grabmäler immer wieder verändert. Früher waren Grabmäler opulenter und Inschriften wichtiger, heute sollen die Gräber pflegeleicht und günstig sein

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Wer die Geschichte einer Stadt kennenlernen will, der kann entweder das Naheliegende tun und eine Stadtführung buchen, oder aber er nimmt sich ein paar Stunden Zeit und schlendert über den Friedhof, liest die Inschriften der Gräber und lässt den Blick schweifen über die Kreuze, die Gravuren, die Skulpturen und Ornamente, die die letzten Ruhestätten der Vorfahren zieren. Zumindest dann, wenn die Gottesäcker von einst nicht der Renovierungs- oder Planierungswut der Moderne zum Opfer gefallen sind. Denn die Zeiten pompöser Grabmäler sind längst vorbei, und wo auf Friedhöfen einst zu Ehren wohlhabender Verstorbener Miniatur-Mausoleen errichtet wurden und hölzerne oder schmiedeeiserne Kreuze die Gräber zierten, herrscht auf modernen Friedhöfen oft unauffällige Einheit in glattpoliertem Marmor. Die Grabmäler unserer Zeit sind von fast dröger Schlichtheit. Der Stil ist ein anderer ,und auch der Text, der in den Stein gemeißelt steht, verrät kaum mehr als einen Namen, ein Geburtsjahr, ein Todesjahr. Einerseits eine Stilfrage, andererseits sind moderne Friedhöfe nicht weniger als der Spiegel, der Antwort auf die Frage gibt, wie wir mit dem Tod heute umgehen.

Das Sterben, es ist so anonym wie die Grabmale der vergangenen Jahrzehnte. "Das Sterben wird stark verdrängt", meint Kreisdekan Albert Bauernfeind, während er durch den Mittelgang des Alten Brucker Friedhofs schlendert. "Sterben war einmal organisch, heute ist es klinisch." Und diese Einstellung, die Entwicklung lässt sich an den Grabmälern der vergangenen Jahrhunderte ablesen.

Auch auf dem Brucker Stadtfriedhof sieht man die schlichten Marmor-Male. Die spärlichen Inschriften, die über Freunde und Bekannte von einst kaum mehr eine Geschichte verraten, kommen nicht von ungefähr. "Jeder einzelne Buchstabe kostet Geld", sagt Robert Weinzierl, Ehrenvorsitzender des Historischen Vereins. "Ein großer Teil der Menschen will seiner Pflicht genüge tun. Oft werden die günstigen Varianten gewählt", erzählt auch Hans Dillinger, Steinmetzmeister im Ruhestand aus Fürstenfeldbruck. Vor 53 Jahren hat er seine Ausbildung begonnen. Dass er oder sein Sohn, der die Firma übernommen hat, in den vergangenen Jahren Grabsteine komplett selbst hergestellt haben, wurde immer seltener. "Heute macht das vielleicht 10 Prozent unserer Arbeit aus, der Rest ist Fertigware aus Asien", sagt er. Diese werden dann vom hiesigen Steinmetz mit dem Namen und Daten des Verstorbenen versehen. Der Tod wird immer mehr zur Kostenfrage, Grabsteine, damals wie heute, sind teuer. Die Kostenspanne reicht von 500 bis 30 000 Euro.

Vor hundert Jahren wäre die Schlichtheit, wie wir sie heute überwiegend auf den Friedhöfen sehen, völlig undenkbar gewesen, zumindest, was die wohlhabenden Bürger anbelangt. "Die Reichen und Adeligen konnten sich Mausoleen und große Grabmäler leisten, die Armen waren froh, wenn sie noch ein Plätzchen auf dem Friedhof gefunden haben", sagt Bauernfeind. Das Grab war noch bis vor hundert Jahren zugleich Prestigeobjekt. Der Kreisdekan bleibt vor den großen und kunstvoll ausgearbeiteten Gräbern der Familien Jais und Weiß im vorderen Bereich des Friedhofs stehen. Das Grab der Familie Weiß, die seit 400 Jahren das Hotel Post in der Innenstadt betreibt, ist mit prächtigen Goldlettern, ausführlichen Berufsbezeichnungen der Familienmitglieder, dem Familienwappen und einem großen, verschlungen geschmiedeten Kreuz versehen.

Gräber können auch Zeugen der Sozialgeschichte sein. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ein Stückchen weit entfernt liegt das Kester-Haeusler-Grab. Ein Schaukasten thront darüber, darin zu sehen die Darstellung der Kreuzigung Christi, unten links ein Totenschädel. "Kreuzigungsszenen waren vor allem im Barock sehr beliebt, sowie auch die Darstellung von Totenschädeln", meint Bauernfeind. "Um sich daran zu erinnern, den drohenden Tod beständig vor Augen zu haben." Obwohl das Grab wohl erst Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet wurde, greift die Skulptur diesen Memento-mori-Gedanken klar auf. Immer wieder zeigt sich, dass die Gestaltung der Grabmäler eng mit der Zeitgeschichte verbunden ist. Auf die Darstellung verweisend, meint Bauernfeind: "Das ist sicherlich auch etwas, was sich heute verändert hat. Ich glaube nicht, dass die Menschen heute im Blick haben, dass sie sich den Himmel verdienen müssen." Heute konzentriere man sich mehr auf das Hier und Jetzt. Das Todeserschrecken und die Angst, dass man in die Hölle kommt, sind selten geworden. "Daran erkennt man auch die positive Fortentwicklung des Glaubens", sagt Bauernfeind.

Dass der Tod in der Barockzeit, beginnend mit dem 16. Jahrhundert, im Gegensatz zu heute anders wahrgenommen wurde, liegt auch daran, dass er zu dieser Zeit allgegenwärtig war, erklärt Kreisheimatpfleger Toni Drexler. "Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen lag bei 40 Jahren, viele Frauen sind im Kindbett gestorben, der Tod war nicht wie heute eine abgeschobene Sache, sondern ein alltäglicher Begleiter", erklärt er. Krankheiten, die heute unkompliziert geheilt werden können, brachten im 16. Jahrhundert schnell das Ende.

Sehr eindrücklich markieren zwei Epitaphien in der Pfarrkirche in Günzlhofen, die noch aus der Zeit vor dem Barock stammen, den Wandel der Darstellungsformen. Dort sind die beiden Grabplatten von Anna Perwanger und ihrem Mann Jeronimus Perwanger zu sehen. Auffällig ist, dass die Ausgestaltung der Rotmarmorgrabplatte von Anna Perwanger, verstorben 1488, ihrer Zeit weit voraus ist. Die Verstorbene wird ganz drastisch in ihrer eigenen Sterblichkeit als bis auf die Knochen abgemagerte Gestalt mit Totenschädel dargestellt, um deren Leib sich Schlangen winden. Der Epitaph ihres Mannes, der 1507 starb, ist im Gegensatz dazu noch ganz der Renaissance verhaftet. Wohlhabende Verstorbene ließen sich damals in vollem Ornat und in der Blüte ihres Lebens darstellen. Jeronimus Perwanger, der sich, wie es zu dieser Zeit üblich war, sein Grabmal schon zu Lebzeiten anfertigen ließ, zeigt sich also in voller Ritterrüstung, das Schwert in der einen und die wehende Fahne in der anderen Hand.

Die Grabmäler auf dem Alten Friedhof erzählen vom wechselhaften Gesicht der Stadt und des Todes. (Foto: Carmen Voxbrunner)

In der jüngeren Vergangenheit, seit Beginn des 19. Jahrhunderts, hat sich die auf den Gräbern verwendete Symbolik hin zu sanfteren und wohlwollenderen Abbildungen verändert. Im hinteren Bereich des Alten Friedhofs erinnern stumme Zeitzeugen an diese Epoche. Dort zeigen sich etwa Christusfiguren in Holz, Stein oder Bronze, bevorzugt mit ausgebreiteten Armen. "Christus, der dazu einlädt, vertrauensvoll zu kommen", erklärt Albert Bauernfeind. Das Sterben bekommt ein versöhnliches Gesicht. An einigen der letzten Ruhestätten verweilen Frauenfiguren. In ihren geöffneten Händen ruhen die vollen Blüten einer Rose, Symbol der ewigen Liebe, oder sie tragen geflochtene Kränze, die als Sinnbild für die Unendlichkeit stehen. "Die trauernden Engel sind eine Allegorie für die Trauer selbst", sagt Bauernfeind. "Sie werden immer weiblich dargestellt. Wohl weil die Trauer häufig mit etwas Weiblich-Mütterlichem verbunden wird."

Auffällig viele Bronzestatuen sind auf einigen der Gräbern zu sehen. Diese stammen überwiegend aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der Hochzeit der Königlichen Erzgießerei in München, erklärt Robert Weinzierl, der Ehrenvorsitzende des Historischen Vereins. "Das ist ein Stück Brucker Ortsgeschichte", sagt er und erinnert an einen der berühmtesten Söhne der Stadt: Ferdinand von Miller, der 1844 von seinem Onkel Johann Baptist Stiglmaier zum Erzgießereiinspektor des traditionsreichen Unternehmens berufen wurde.

Trauernde Engel, pompöse Grabmäler, Bronzegüsse oder reiche Ornamente, wie sie in Fürstenfeldbruck noch gut erhalten sind, seien allerdings eher städtische Elemente gewesen, erklärt Kreisheimatpfleger Drexler. Auf dem Land waren einfache Holzkreuze die Regel. Heute kann man sie nur noch selten sehen. Der Grund ist naheliegend, denn das Material verrottet schnell, und alte Kreuze wurden später kaum noch erneuert. "Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen schmiedeeisernen Kreuze hinzu", erklärt Drexler. "Auch das war eine Frage dessen, wer sich was leisten konnte." Die Kreuze, ob aus Holz oder Eisen, seien vor allem in Südbayern üblich gewesen. "Heute findet man sie noch oft in den Bergregionen." Erst im 19. Jahrhundert wechselte man schließlich zu Stein.

Grabmäler waren früher opulenter als heute - und damit nicht gerade pflegeleicht. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Dass Grabmäler aber lange Zeit nicht die einzigen Orte waren, an denen man der Toten gedacht hat, sei heute fast schon in Vergessenheit geraten, sagt Drexler. Bevor man nämlich Ende des 18. Jahrhunderts dazu überging, Verstorbene in Särgen zu beerdigen, verwendete man Totenbretter, die nach der Bestattung an prominenten Stellen im Dorf aufgestellt wurden. Oft versah man sie mit der Aufforderung, ein Gebet für den Toten zu sprechen. Die Bretter, erklärt der Kreisheimatpfleger, hatten die Größe der Toten, die in Leinwand eingenäht darauf aufgebahrt wurden.

Man trug die Verstorbenen auf den Bretter ans offene Grab, senkte das Brett ab und ließ den Leichnam in die Grube gleiten. "Diese Bretter hat man dann verziert und mit dem Namen des Toten versehen. Oft stand auch noch ein Spruch darauf", so Drexler. Mit der Zeit wurden die Bretter bedeutungslos. Man hat dennoch lange am Brauch festgehalten und sie als bloße Erinnerungsbretter aufgestellt. Im Landkreis kann man sie unter anderem noch in der Kapelle auf dem Kalvarienberg in Wenigmünchen sehen. "Viele Totenbretter sind nicht mehr erhalten. Denn man glaubte, dass erst, wenn das Brettl vergangen ist, die arme Seele ihre Ruhe gefunden hat", erklärt Drexler.

Die einheitlichen Friedhöfe unserer Zeit lassen Geschichten wie diese verblassen. Natürlich, so erklärt Detlef Kollmannsberger, der Leiter der Friedhofsverwaltung in Fürstenfeldbruck, hängt die Gestaltung heute auch eng mit den jeweiligen Friedhofssatzungen zusammen, die vom Stadt- oder Gemeinderat verabschiedet werden und vorgeben, was erlaubt ist und was nicht. "Aber mit der Zeit werden die Vorgaben wieder gelockert. Vor allem, weil Erdbestattungen immer seltener werden", erklärt er. Die Urnengräber sind modern, kostengünstiger und brauchen weniger Pflege. In jüngster Vergangenheit werden immer mehr sehr persönliche und ausgefallene Grabmäler genehmigt, wie etwa die Skulptur eines Flugzeugs auf dem Grab eines Piloten.

Solche individuellen Gräber findet man auch auf dem Alten Friedhof. Das Grab von Bruno Bader etwa: Eine dunkle, rau strukturierte Menschengestalt, die den Blick zur Seite richtet und mit festen Beinen über dem Grab steht. Edith Bader, seine Frau, streicht über den Stein und geht dann zur Rückseite. Ihre Fingerspitzen gleiten über die einzige glatte Stelle am Rücken der Figur. Die Rudimente eines Schriftzugs sind dort noch erkennbar, es ist "Lieber, guter Josef" zu lesen.

Der Künstler Josef Lang, von dem die Statue stammt, arbeitet viel mit alten Grabsteinen. Noch zu Lebzeiten hat Bruno Bader die Statue in einer Ausstellung gesehen und war begeistert. Nun steht das Standbild an seinem Grab. "Einen normalen Stein wollte ich nie", sagt seine Frau. "Mein Mann hatte einen einzigartigen Charakter." Wie die Figur, die als letzte Erinnerung die Zeit überdauern wird.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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