Fürstenfeldbruck:Vor die Tür gesetzt

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Mehrere privat zusammengetragene Sammlungen stehen nach der Kündigung durch die bundeseigene Immobiliengesellschaft Ende des Jahres buchstäblich auf der Straße. Experten warnen vor dem unwiederbringlichen Verlust geschichtlich wertvollen Materials

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Ende des Jahres ist Zapfenstreich. Und wenn es nicht doch noch eine überraschende Wende gibt, dann könnten Dokumente der Zeitgeschichte unwiederbringlich verloren gehen. Spätestens am 31. Dezember und damit mindestens drei Jahre vor dem geplanten Abzug der Bundeswehr müssen mehrere Vereine und Gruppen, die Dokumente, Fahrzeuge, Flugzeuge und andere geschichtlich bedeutsame Exponate auf dem Gelände aufbewahren oder noch nutzen, den Fliegerhorst verlassen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) als Grundeigentümerin hat Kündigungen ausgesprochen - als Voraussetzung für einen Verkauf von Flächen und Gebäuden.

Helmut Predeschly (IG Fursty) weiß nicht wohin mit all den Stücken, die ua. vom geophysikalischen Institut zur Verfügung gestellt worden sind. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Unter Experten und Politikern geht die Sorge um, dass damit Fakten geschaffen werden und Teile der Sammlungen veräußert werden müssen, bevor die Stadt das riesige Areal im Idealfall teilweise selbst übernehmen, in jedem Fall aber überplanen kann. Erste Überlegungen gibt es zwar, den Alten Tower als Gedenkort für das Olympia-Attentat von 1972 zu erhalten. Da aber fangen die Probleme schon an, pocht die Israelitische Kultusgemeinde doch auf einen räumlichen Abstand zu einem möglichen Museum, das die ganze Bandbreite der Fliegerhorst-Geschichte thematisieren könnte und damit zurückreicht bis 1935. Selbst wenn die Stadt ihre Unterstützung - städteplanerisch, konzeptionell oder finanziell - für ein Museum zusagen sollte (Artikel unten), könnten bis zu einer Realisierung längst wichtige Exponate verloren gegangen sein. Dies gilt vor allem für die vielen großen Bundeswehr-Oldtimer, für die sich leicht Käufer finden lassen. Damit aber wäre die Chance vertan, kommenden Generationen wichtige Zusammenhänge und Entwicklungsschritte rund um die ehemalige "Wiege der Luftwaffe" in Fürstenfeldbruck veranschaulichen zu können. Man könne "80 Jahre Geschichte nicht auf einen Tag reduzieren", warnt Fritz Aneder vom Historischen Verein mit Blick auf die Fokussierung lediglich auf den 5. September 1972.

Flugzeuge der Flugsportgemeinschaft - hier eine Piaggio. (Foto: Ortwin Scheider)

Drei geschichtlich ausgerichteten Gruppen hat die traditionsbewusste Bundeswehr bislang Platz zur Verfügung gestellt: Die Interessengemeinschaft (IG) Fursty unter ihrem Vorsitzenden Helmut Predeschly belegt zwei große Räume im Kilometerbau, nahe der Kantine. Die Ausstellung widmet sich der Zeit seit der Besetzung durch die Amerikaner und enthält Modelle des Fliegerhorsts ebenso wie Anschauungsobjekte der Fliegerhorst-Feuerwehr, des geophysikalischen Instituts, Teile von Flugzeugen sowie 16-Millimeter-Filmrollen und Unmengen an Fotos.

Die Reservisten-Arbeitsgemeinschaft (RAG) unter Hans Eberhard hat mit etwa 2000 Quadratmetern den größten Platzbedarf. In der Halle des einstigen Tanklagers sowie halb offenen Garagen stehen etwa 30 Fahrzeuge. Darunter sind neben Allradlastwagen auch Raritäten wie ein Jupiter-Kranwagen, ein mobiler Tower, mit dessen Hilfe Autobahnen im Notfall als Landebahnen umfunktioniert werden konnten, sowie ein Faun-Flugfeldtanker - das letzte Fahrzeug, das vom hier stationierten Jagdbombergeschwaders eingesetzt wurde. Die Erinnerung an jene bis 1994 aktive Einheit hält die Gemeinschaft Jabog 49 aufrecht. Für ihr bislang im ehemaligen Stabsgebäude der Luftkriegsschule untergebrachtes Museum ist Henning Remmers zuständig. Thematisiert wird die Geschichte seit 1956, als "Fursty" zur Wiege der Luftwaffe wurde.

Noch im Betrieb sind zudem die von der Flugsportgemeinschaft unter ihrem Vorsitzenden Martin Schifferer eingesetzten Flugzeugmodelle Do 27, Piaggio und Piper, die bislang von der verbliebenen, 800 Meter langen Startbahn Alpha abheben konnten. Auch ihnen wurde gekündigt.

Lediglich für Jabog 49 wurde eine Lösung gefunden: Nach eindringlicher Vorsprache bei Kasernenkommandanten und Brigadegeneral Bernhardt Schlaak durfte die Sammlung in das Richard-Higgins-Gebäude nahe der Hauptpforte umziehen. Mitte Dezember soll es eine Einweihungsparty geben. Remmers könnte sich vorstellen, dass vielleicht auch die RAG-Sammlung hier - zumindest übergangsweise - unterkommt. Zurzeit sehe es aber so aus, dass die anderen "im Regen stehen", räumt er ein. Deshalb ist auch Brucks Kulturreferent Klaus Wollenberg (FDP) nicht gut zu sprechen auf die "ziemlich hochnäsig" agierende Bima und hält Argumente wie fehlenden Brandschutz eher für vorgeschoben. Wollenberg hofft noch auf politische Unterstützung von ganz oben, etwa durch die CSU-Bundestagsabgeordnete Gerda Hasselfeldt. In jedem Fall soll nun eine Arbeitsgruppe des Historischen Vereins, möglichst unterstützt vom Brucker Militärhistoriker Peter Popp, Material sichten, die verschiedenen Gruppen zusammenbringen und auch noch einmal über den Tower und sein Umfeld als möglichen Museumsstandort diskutieren. Predeschly, der sich von der Bima "vor die Tür gesetzt" fühlt und davor warnt, "alles einfach platt zu machen", hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Stadt übergangsweise nutzbare Lagerräume findet. Längerfristig wirbt er für ein umfassenderes touristisches Konzept nach dem Vorbild ehemaliger Zechen im Ruhrgebiet oder der Gedenkstätte Point Alpha in Fulda. Die Bewahrung der Geschichte soll also nicht als Last verstanden werden, sondern als Chance für eine Stadt, deren Werdegang eng mit dem Fliegerhorst verknüpft ist und die sich damit - über das Kloster hinaus - abhebt von Städten vergleichbarer Größe. Eingebunden werden in ein Gesamtkonzept könnten auch die über den Fliegerhorst verteilten aufgeständerten und entkernten Flugzeuge, die sich ebenso im Besitz der Bundeswehr befindet wie eine offenbar in Kellerräumen der Offiziersschule dahinschlummernde Sammlung. Diese hält Wollenberg "für hochspannend". Teils in Kisten verpackt lagern dort Tagebücher, Uniformteile und Dokumente, die zurückreichen bis in die Dreißigerjahre.

Vom Tisch sein dürfte mittlerweile der einzige Vorschlag, den die Bima und das kaum über eigenen Spielraum verfügende Dienstleistungszentrum der Bundeswehr jüngst unterbreitet haben: Als einzige Alternative zu den Räumen auf dem Fliegerhorst wurde eine Lagerfläche von 1100 Quadratmetern in Garching angeboten - zu einer Monatsmiete von drei Euro pro Quadratmeter. "Illusorisch" und für einen kleinen Verein gar nicht finanzierbar sei das, schimpft Hans Eberhard von der Reservisten-Arbeitsgemeinschaft.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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