Fürstenfeldbruck:Vom Biedermeier in die Moderne

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Zeitreise: Heute erinnern alte Fotos wie dieses an die Arbeiter, die sich am Bau der Strecke beteiligt haben. (Foto: oh)

Wie die Bahnlinie München-Augsburg das Leben veränderte

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Eisenbahn veränderte das Leben grundlegend. Sie vereinfachte das Reisen, wenngleich die ersten Züge kaum weniger ruckelten als die Postkutsche, sie verband lokale und globale Wirtschaft. Dazu war die Eisenbahn ein Muster für die hierarchischen und arbeitsteiligen Strukturen des Industriezeitalters, schreibt Andreas Knipping in seinem Beitrag zu dem Buch zum Jubiläum von 175 Jahren Eisenbahn München-Augsburg. Der Band enthält eine Reihe von interessanten und gut geschriebenen Beiträgen zur Geschichte dieser Bahnlinie.

Die ursprüngliche Idee, die Gleise als eiserne Kunststraße von privaten Dampfwagen befahren zu lassen wie einen Kanal, wurde schnell verworfen. Notwendig waren einheitliche Standards für Sicherheit und Betrieb. Bis dahin differierten die Uhrzeiten von Dorf zu Dorf beträchtlich, man richtete sich nach dem Kirchturm oder der Sonne. Jetzt waren exakte Angaben notwendig für den Fahrplan der Züge.

Knipping ordnet den Bau der Strecke in den Kontext der Biedermeierzeit ein. Er erinnert an den Ökonomen Friedrich List, der als erster ein Schienennetz für Mitteleuropa entwarf, in dem München allerdings bloß Endstation war. Tatsächlich war die Strecke, die quer durch den Landkreis führt, die erste Fernbahn Bayerns. Sie wurde 1854 bis Ulm verlängert und hatte damit Anschluss an das schwäbische Netz. 1860 wurde die Verbindung nach Salzburg und damit Wien und Budapest vollendet. 1883 fuhr der erste Orientexpress von Paris nach Istanbul durch das Brucker Land. Bis heute ist die Verbindung eine der am meisten befahrenen Strecken der Welt.

Rund um München wurden Dörfer zu Arbeitersiedlungen für Pendler oder zu Villenkolonien, etwa am Starnberger See, wo 1854 die zweite Strecke von München aus eröffnet wurde. Ausführlich beschreibt der Experte aus Eichenau die Anlage des Nordrings, der von der Lindauer Strecke bei Emmering über Gröbenzell zu einem neuen Güterbahnhof im Nordwesten führen sollte, kriegsbedingt jedoch Stückwerk blieb. Knipping erinnert daran, dass sich die Landschaft zwischen Olching und Gröbenzell durch Kies- und Torfabbau sowie dieses Bahnprojekt enorm veränderte. In den Dreißigerjahren war dort brettebenes, offenes Gelände. Heute finden sich dort Dämme, Brücken sowie eine Seenplatte.

Einige Autoren beschäftigen sich mit den Männern, die das Projekt geplant und verwirklicht haben, drei von ihnen waren Einwanderer oder deren Nachfahren. Die Familie von Joseph Anton von Maffei stammte aus Norditalien. Er war 1837 Gründer der Aktiengesellschaft für den Bau der Strecke, darüber hinaus Fabrikant von Lokomotiven, Stahlkonstruktionen für Eisenbahnbrücken und Dampfschiffen. Die Vorfahren des Augsburger Bürgermeisters Anton Nikolaus Carron du Val, der das Projekt 1835 entwickelte und als Standortsicherung für die Betriebe vorantrieb, waren Ende des 17. Jahrhunderts aus Lothringen geflohen. Konzipiert und vermessen wurde die Strecke von dem Ingenieur Paul Camille von Denis, einem gebürtigen Franzosen, der als Pionier des Eisenbahnbaus in Deutschland gilt. Der Baudirektor des Unternehmens, Ulrich Himbsel, kam immerhin aus der Oberpfalz.

Keiner von ihnen hatte jemals einen Spaten in der Hand, betont Toni Drexler, der an die Männer, Frauen und Kinder erinnert, die mit Schaufel, Pickel und Schubkarren die rund 60 Kilometer lange Strecke bauten. Mindestens 6000 Arbeiter waren im Einsatz, darunter Kleinbauern und Handwerker aus der Umgebung, die meisten jedoch Wanderarbeiter, Landproletariat aus der Oberpfalz und den Alpen.

Bereits in der Hochzeit des Manchesterliberalismus finden wir ein bekanntes Muster: Sobald ein Großbetrieb keinen Profit mehr abwirft, hilft der Staat. 1844 verkauften die Aktionäre die Bahnlinie an den bayerischen Staat, der zwei Millionen Gulden investieren musste, um die Strecke zu sanieren. So waren etwa die rund 73 000 Schwellen aus nicht imprägnierten Fichtenholz fast alle verfault. Die Unfälle auf der Strecke hat Anna Ulrike Bergheim dokumentiert. Elf Tage nach der Eröffnung der Strecke kippte am 12. Oktober 1840 ein Zug in der Nacht bei Althegnenberg um. 1854 stießen zwei Züge zwischen Haspelmoor und Nannhofen zusammen. Einige Passagiere erlitten Hautabschürfungen, die Fahrzeuge wurden wieder repariert.

Eine der größten Katastrophen der Eisenbahngeschichte in Deutschland ereignete sich am 18. April 1917 im Bahnhof von Nannhofen, schreibt Dirk Lindauer, Bibliothekar aus Mammendorf. Ein Lokomotivführer übersah am Abend bei dichtem Schneetreiben die Haltesignale. Der Schnellzug prallte ungebremst in einen rangierenden Zug, der mit Soldaten auf Fronturlaub besetzt war. 30 Menschen starben und 84 wurden zum Teil schwer verletzt.

Anna Ulrike Bergheim, Holger Riedel, Hrsg., 175 Jahre Eisenbahn München-Augsburg. Das Buch zum Festjahr und zu den Ausstellungen, Berlin 2015, 9,80 Euro

© SZ vom 24.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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