Fürstenfeldbruck:Visionen voller Widersprüche

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Bei einem Workshop sammelt ein Planungsteam Ideen für die künftige Entwicklung des Landkreises. Diese zu einem Konzept zu bündeln, wird keine leichte Aufgabe sein. Zu gegensätzlich sind die Vorstellungen etwa von Naturschützern und Wirtschaftsvertretern, welches Maß der Bebauung verfolgt werden soll

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

So könnte der Landkreis einmal aussehen: neue gemeinschaftliche Wohnformen mit Genossenschaften anstelle flächenfressender Einfamilien- und Doppelhäuser sowie der Dominanz des Eigentumsmodells. Appartementhäuser auch in weiterhin ländlich geprägten Dörfern, die den Ortscharakter erhalten. Eine Infrastruktur mit kurzen Wegen, die gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen sind. Siedlungsschwerpunkte an Bahnhöfen und Verkehrsknoten mit einem Wohnumfeld von hoher Lebensqualität, aber nur wenigen Autostellplätzen. Eine Fußgängerzone in Fürstenfeldbruck sowie ein flächendeckend gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr und ein größeres Angebot an wohnortnahen Arbeitsplätzen, die den Pendlerstrom nach München spürbar reduzieren.

Dahin könnte sich also der Landkreis entwickeln, wenn nur einige der Vorschläge von Kommunalpolitikern und Bürgern in ein gemeinsames Entwicklungskonzept für 16 Städte und Kommunen eingehen. Am Dienstagabend trafen sich mehr als hundert Interessierte - darunter auch Vertreter der Bauämter und von Organisationen wie dem Bund Naturschutz, der Solidargemeinschaft Brucker Land oder Agenda-Arbeitsgruppen - im Graf-Rasso-Gymnasium in Fürstenfeldbruck. Sie machten einem interdisziplinären Planungsteam erste Vorgaben für eine Struktur- und Potenzialanalyse für den Landkreis. Alain Thierstein, Inhaber des Lehrstuhls für Raumentwicklung der TU München, gab als Ziel des Abends vor: "ins Thema reinzukommen".

Umgesetzt werden soll, auch das ist eine der Vorgaben, was sich diejenigen wünschen, die in dem von Amperhangkanten im Süden und Hügelland im Norden begrenzten Gebiet wohnen. Die Herausforderung besteht darin, wie es den Planern gelingt, die zahlreichen Interessen- und Zielkonflikte sowie Widersprüche aufzulösen. Wünsche, Ziele, Vorgaben, Problempunkte diskutierten die Teilnehmer in fünf Gruppen mit Mitarbeiten des Planungsteams und schrieben die Ergebnisse auf Zettel, die an Pinnwänden befestigt wurden.

Mehr als 100 Interessierte treffen sich am Dienstagabend zu einem Workshop, um sich darüber zu machen, wie sich der Landkreis entwickeln soll. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Viele der Gespräche und schriftlich festgehaltenen Forderungen zeigten vor allem eines auf: Widersprüche. Zu den meisten Forderungen gab es eine Gegenmeinung. "Hört einfach auf mit Wachstum, es ist einfach vorbei", sagte eine Frau, die beteuerte nur gekommen zu sein, um diese Meinung zu vertreten. Eine andere entgegnete ebenso überzeugt, dass es doch jetzt um etwas völlig anderes gehe, nämlich ein qualitatives Wachstum. Also um eine Verbesserung des Lebensumfeldes und der Lebensqualität. Wieder andere wollten das "Wohl des Menschen vor den Naturschutz" stellen, um an geeigneten Stellen eine weitere Siedlungsentwicklung zuzulassen. Aber auch der Erhalt von Gebieten wie dem Emmeringer Hölzl, der Amperauen und die noch ausstehende Vernetzung der Moose mit dem Flora-Fauna-Habitat-Gebiet des Ampertals wurden angesprochen.

Die Aufgabe bestand darin, Ideen für die vier Themenbereiche Wohnen und Siedlungsentwicklung, Arbeiten und Wirtschaft, Landschaft sowie Freizeit- und Erholungsräume und Mobilität, also ein neues, gleichwertiges Miteinander der sich auf unterschiedliche Arten fortbewegenden Verkehrsteilnehmer, zu finden. Um dann in einer fünften Gruppe daraus erste Zukunftsperspektiven für den Landkreis insgesamt abzuleiten.

So war zum Thema Wohnen zur Überplanung des zur Konversion freigegebenen Fliegerhortes zu lesen, die Flächen von "Fursty" müssten ein Freiraum bleiben. Während beim Themenkomplex Arbeit Wirtschaftsvertreter wie der Brucker Volksbankvorstand Rainer Kerth das Kasernengelände als idealen Standort für Arbeitsplätze, Büros und produzierendes Gewerbe sahen und erst in zweiter Linie als Potenzial für eine größere Zahl von Wohnungen. "Ich sehe nur Chancen", sagte Kerth. Offenkundig wurde immer wieder eines der großen Defizite des als besonders familienfreundlich geltenden Landkreises: fehlende Arbeitsplätze.

Eine weitere Forderung lautete "Gewerbeflächen mit hoher Arbeitsplatzdichte schaffen". Andere sahen in interkommunalen Gewerbegebieten eine große Chance. Eine der Fragen lautete: "Warum gibt es an den Zughalten Haspelmoor, Hattenhofen und Althegnenberg so wenig Arbeitsplätze?" Andere sprachen sich gegen weitere große Gewerbegebiete aus. Letztlich soll ja der gemeinsam Blick aus der Distanz auf den Landkreis den Weg zu neuen Lösungen öffnen.

Schwerpunkt beim Thema Mobilität war der Wunsch nach einem Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und des Radwegenetzes. Nur Anreize, also weiche Maßnahmen wie bessere Radwege und mehr Expressbusse, reichen nicht aus, um die Bürger zum Umsteigen vom Auto auf andere Verkehrsmittel zu erreichen. Das versuchte eine Verkehrsplanerin zu vermitteln. Sie riet dazu, harte Vorgaben und Verbote zu erlassen. Zu den effizienten Mitteln, den Autoverkehr deutlich zu reduzieren, wurden Einschränkungen bei Stellplätzen für Neubauten und dem Angebot an öffentlichen Parkmöglichkeiten genannt sowie ein Verbot des Elterntaxis. Eltern sollte es also untersagt werden, ihre Kinder mit dem Auto zur Schule oder zu Veranstaltungen zu kutschieren.

Als wichtig galt der Erhalt der Landschafts- und Erholungsräume. Eine der Stärken der großen Siedlungsgemeinden im östlichen Landkreis ist, dass hier große Grüngürtel und Naherholungsgebiete sowie die zusammenhängenden Landschaftsschutzgebiete liegen, während im ländlichen Westen nur noch einzelne geschützte Freiflächen in Insellage zu finden sind. Das Planungsteam hat nun bis zum 20. April, dem zweiten öffentlichen Workshop im Graf-Rasso-Gymnasium Zeit, Vorschläge für die planerische Umsetzung zu entwickeln. Der Emmeringer Michael Schanderl, der Sprecher der Landkreisbürgermeister, lobte am Ende die anspruchsvolle, konstruktive Arbeit des Planungsteams. Jürgen Werde aus Germering zeigte sich skeptisch. Mit Verweis auf das interkommunale Windradkonzept des Landkreises, wollte er wissen, ob wieder jemand auftauchen könnte wie der Ministerpräsident Horst Seehofer und am Ende das fertige Entwicklungskonzept vom Tisch wische.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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