Amtsgericht Fürstenfeldbruck:Verständnis für einen Ausraster

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Eine Mutter schmeißt eine Scherbe auf ihre 17-jährige Tochter, weil diese schreit. Das Verfahren wurde nun eingestellt.

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Zwei Jobs, drei Kinder - und kein Mann, der beim Geld verdienen, im Haushalt oder bei der Kindererziehung helfen würde. So zu leben ist ganz schön anstrengend. Wenn dann auch noch die pubertierende Tochter in tiefer Trauer um den soeben verstorbenen Familienkater völlig ausrastet und schreit wie am Spieß, ist es schwierig, die Nerven zu behalten. Das erkannten auch ein Richter am Amtsgericht und die Staatsanwältin in einem Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung an. Sie stellten das Verfahren gegen die 40-jährige Mutter gegen eine geringe Auflage ein. Diese hatte, wie sie sofort zugab, weil ihre Tochter nicht zu schreien aufhörte, einen Teller zu Boden geschmissen und mit einer Scherbe nach der 17-Jährigen geworfen. Die hatte das Porzellanstück mit dem Handteller abgewehrt, was eine Schnittwunde verursachte, die genäht werden musste.

Die Schnittwunde der 17-Jährigen war an jenem Tag nicht die einzige. Spätestens als sich die Staatsanwältin erhob und die Anklage verlas, fiel auf, dass sie zwei Finger der rechten Hand dick eingebunden hatte. Sie habe sich am Vorabend so tief geschnitten, dass sie ins Krankenhaus fahren musste, wo der Schnitt genäht wurde, erklärte sie. Eine kuriose Parallele zu der Körperverletzung im November an dem Teenager, der derzeit in einer Pflegefamilie untergebracht ist, sich aber sehnlichst wünscht, wieder zur Angeklagten und den sieben und elf Jahre alten Geschwistern zurückzukehren.

Zu dem Eklat war es Anfang November gekommen. Wie die Angeklagte vor Gericht erzählte, war am Morgen der Familienkater aus heiterem Himmel gestorben.

Nun, am Nachmittag, wollte sie das Tier mit den Kindern begraben, hatte es in eine Tüte gesteckt. Doch ihrer Ältesten gefiel das gar nicht. "Sie ist ausgerastet", habe "geschrien wie am Spieß". Pausenlos und lautstark schrie die 17-Jährige, so die Schilderung der Mutter. Das hatte zur Folge, dass auch die jüngeren Geschwister zu weinen begannen. Nach etwa 20 Minuten Geschrei habe sie einen Teller voll Schupfnudeln genommen und zu Boden geschmissen. Einfach in der Hoffnung, dass dann Ruhe ist. Die 17-Jährige schrie aber weiter, also griff sie sich eine Scherbe und warf sie in deren Richtung, gestand die Angeklagte, die im Vorjahr ein Burnout hatte und damals wiederholt beim Jugendamt um Hilfe gebeten hatte. Dort hatte man keine Notwendigkeit gesehen, einzugreifen: die älteren Kinder besuchen das Gymnasium, es gibt keine Auffälligkeiten.

Des Weiteren erfuhr man von der Angeklagten, dass der Kindsvater, von dem sie sich vor sechs Jahren getrennt hatte, die Anzeige gegen die 40-Jährige erstattet hatte. Dabei kümmert er sich sonst offenbar kaum um seinen Nachwuchs: Den Mindestunterhalt muss das Jugendamt vollstrecken lassen. Und als die Alleinerziehende im August wegen ihres Burnouts einige Wochen in einer Klinik verbringen musste, weigerte er sich, auf die drei gemeinsamen Kinder aufzupassen. Das übernahm stattdessen die 75 Jahre alte Nachbarin.

"Man muss die Gesamtsituation sehen", unterstrich der Vorsitzende Johann Steigmayer. Und signalisierte, dass er das Verfahren gerne einstellen, zumindest aber einen minderschweren Fall annehmen wolle. Da die Staatsanwältin zögerte - immerhin gehe es um gefährliche Körperverletzung - baute ihr der Richter eine Brücke. Es komme in diesem Fall auch fahrlässige Körperverletzung in Betracht, die Frau habe ihre Tochter schließlich nicht verletzen wollen. "Ich würde nachts schlecht schlafen, wenn ich sie verurteile", bekräftigte er. Und einigte sich mit der Staatsanwältin, das Verfahren gegen acht Tage gemeinnützige Arbeit einzustellen.

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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