Fürstenfeldbruck:Urban leben

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Beim Umzug in den Landkreis spielen Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine Rolle, so wie der Kindercampus in einem modernen Passivhaus in Gröbenzell. (Foto: Günther Reger)

Für die Studie "Wohnen, Arbeiten, Mobilität" der TU München werden Menschen nach ihren Motiven für den Umzug in den Landkreis befragt. Wichtig sind der Erwerb von Wohneigentum, der Wunsch nach mehr Komfort sowie das gute Angebot an Schulen und Kitas

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Sprechen Kommunalpolitiker vom Landkreis Fürstenfeldbruck, unterscheiden sie regelmäßig zwischen zwei Wohnstrukturen: den dicht besiedelten Ostgemeinden und dem noch ländlich geprägten Westen. Seit der Abschlussbericht der Studie "Wohnen, Arbeiten, Mobilität" des Lehrstuhls für Raumentwicklung und des Fachgebiets für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der Technischen Universität München für die Metropolregion vorliegt, gibt es zwei neue Kriterien für die Landkreisstruktur. Es wird zwischen einem "urban, zentralen Raum" unterschieden - zu dieser Kategorie gehört auch München -, der Rest wird als "städtisches Einzugsgebiet" bezeichnet. Das vorherrschende Raumnutzungsmuster für den Landkreis beschreiben die Wissenschaftler folgendermaßen: "Komfortabler wohnen, Eigentum bilden, Zentren verlassen".

Die ländliche Struktur, also die Mischung von Land und Stadt, der im Wohnlandkreis Fürstenfeldbruck eine sehr große Bedeutung beigemessen wird, geht in der Wam-Studie fest unter. Wichtiger ist die Urbanität. Weshalb die Wissenschaftler noch zu einem weiteren wichtigen Ergebnis kommen: "Der Eigentumswunsch ist nicht mit dem Wunsch nach Ländlichkeit gleichzusetzen." Sollte es entsprechende Angebot geben, könnten sich viele Menschen vorstellen, ihren Wunsch nach Wohneigentum im Landkreis mit einer Stadtwohnung statt mit einem Eigenheim auf dem Land zu erfüllen.

Das erinnert auffällig an die provokative These des Emmeringer Bürgermeisters Michael Schanderl (FW). Der sagte kürzlich, das klassische Wohnmodell im Landkreis, das seit Jahrzehnten dominierende Einfamilienhaus, habe ausgedient. Diese Äußerung brachte Schanderl einigen Ärger ein. Und die Studie belegt noch etwas, was keine große Überraschung ist. Um die Wohnfläche zu vergrößern und damit die Lebensqualität zu verbessern, werden größere Entfernungen zu Zentren und zum Arbeitsplatz in Kauf genommen. Damit bleibt die Wanderung von München ins Umland ein ausgeprägter Bestandteil für die Siedlungsdynamik im Landkreis.

Oft würde, wie es heißt, einer näher am Münchner Zentrum gelegenen Wohnung oder Stadtwohnung sogar der Vorzug gegeben. Da es aber an bezahlbaren Angeboten fehle, weicht man eben notgedrungen auf die Peripherie aus. Zudem sind die Ostgemeinden deshalb so begehrt, weil sie relativ gut an das Netz des Öffentlichen Personennahverkehr angebunden sind.

Aus der Befragung von etwa 300 bis 500 Menschen, die in den vergangenen drei Jahren in den Landkreis zogen, leiten die Wissenschaftler ab, dass hier Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen ein höherer Stellenwert beigemessen wird, als in anderen Bereichen der Metropolregion. Vermutlich, so ein Erklärungsversuch, liege das daran, dass eine höhere Zahl junger Familien zuzieht als anderswo. Unter den Umzugsgründen wurde überdurchschnittlich häufig "mehr Personen im Haushalt" genannt. Seltener führen die Zuzüglern dagegen unter den Umzugsgründen den Wechsel des Arbeitsstandorts oder hohe Mobilitätskosten an. Befragt wurden in der Metropolregion insgesamt 7300 Personen.

Noch ein Punkt wurde bei der Vorstellung betont. Als wichtigstes Kriterium für die Qualität eines Arbeitsstandorts im Landkreis gaben die Befragten die Erreichbarkeit mit dem Auto an. Dieser Faktor rangiert vor der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad. Allerdings erfolgt der Wechsel des Arbeitsstandorts in den Landkreis überdurchschnittlich häufig zur Reduzierung des Pendelwegs.

Als kürzlich Gebhard Wulfhorst und Michael Bentlage dem Umwelt- und Planungsausschuss des Kreistags die Ergebnisse der Studie für den Landkreis vorstellten, regierten einige Kreisräte mit heftigem Widerspruch und Unverständnis. Gottfried Obermair (FW) sagte: "Es gibt für mich keine neue Erkenntnis." Er sei geschockt, weil er dem Bericht nichts entnehmen könne, was ihn weiter bringe. Worauf Wulfhorst erwiderte, eine Antwort könnte sein, in S-Bahnnähe gelegene Standorte anders zu entwickeln als andere. Was ihm ein "Das-wissen-wir-doch" von Obermair einbrachte.

Der Kreisrat aus Maisach verband mit der Studie "Wohnen, Arbeiten, Mobilität" die Hoffnung, eine Antwort auf Fragen wie die zu bekommen, wie es gelingen kann, große Firmen wie Siemens oder BMW im Landkreis anzusiedeln. Diese könnten nämlich genau die Arbeitsplätze wohnortnah anbieten, die zur hohen beruflichen Qualifikation der Mehrheit der Landkreisbewohner passen.

Was Wulfhorst zu dem Hinweis veranlasste, dass die Studie "Wam" kein Wunschkonzert sei. Dagegen dokumentiere sie, aus welchen Gründen Erwerbstätige in den Landkreis ziehen und welche Schlussfolgerungen sich daraus für die weitere Entwicklung der Region ziehen lassen. Es gelte, die Standorte zu qualifizieren, damit sie attraktiv bleiben sowie die Bauleitplanung und Verkehrsplanung miteinander abzustimmen und die Landschaftsräume als Qualitätsmerkmal zu erkennen und zu erhalten. Auf der Ebene der Metropolregion riet der Experte für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung zum Beispiel dazu, Zentren wie Fürstenfeldbruck "hochwertig" weiterzuentwickeln und damit als "Ergänzungsstandort" zu München zu profilieren.

Der Olchinger Bürgermeister Andreas Magg (SPD) riet aufzupassen, damit der Landkreis seinen eigentlichen Standortvorteil nicht zu verspielt. Das sei ein lebenswerter Naturraum. Worauf Wulfhorst erwiderte, die Region sei schließlich deshalb so attraktiv, "weil es hier sehr schön ist". Diesen Hinweis griff Reinlinde Leitz auf. Laut der Kreisbaudirektorin geht es bei der Struktur- und Potenzialanalyse für den Landkreis, an der die gleichen Experten der TU München mitarbeiten, darum, die Freiräume in den Ostkommunen wie bei einem Landschaftspark mit denen im Westen zu vernetzen, sodass das Auto für die Freizeitgestaltung verzichtbar wird.

Für Klaus Wollenberg war der Hinweis, die Wam-Studie solle als Grundlage für die Struktur- und Potenzialanalyse dienen, ein Reizwort. Er fragte, was eine wissenschaftliche Arbeit über eine Region wert sei, in der etwa 5,9 Millionen Menschen leben, aber nur etwa 7000 befragt wurden. Baue die Struktur- und Potenzialanalyse auf dieser Studie auf, würde das nur das Bild vom Landkreis "verzerren" und "schiefe Ergebnisse" liefern.

Die Analyse von Klaus Wollenberg, hoch qualifizierte Arbeitnehmer müssten auspendeln, weil Landkreisfirmen keine adäquaten Stellen zu bieten haben, deckten sich mit Wulfhorsts Erkenntnis, dass für die weitere Entwicklung die Qualität eine wichtigere Rolle spiele als die Quantität. Einige der Handlungsempfehlungen lauten, die Kommunen sollten die Kooperation verbessern und sich vermehrt in regionalen Verbünden abstimmen. Nutzen und Lasten der Entwicklung seien über ein regionales Ausgleichsmodell zu verteilen. Die Vielfalt des Wohnangebots sei zu erweiteren, und zwar sowohl für Mieter als auch für Eigentümer.

Der gesamte Bericht der Studie ist im Internet unter www.wam.tum.de zu finden. Neben dem Landkreis beteiligten sich die Städte Fürstenfeldbruck, Germering, Olching und Puchheim sowie die Gemeinden Alling, Eichenau, Emmering, Gröbenzell und Landsberied finanziell.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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