Fürstenfeldbruck:Unterhaltsam

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Schriftsteller brauchen Marotten, um so die Unordnung in ihrem Kopf zu kontrollieren, erklärt Lena Gorelik. (Foto: Günther Reger)

Lena Gorelik in der Stadtbibliothek

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Eigentlich wollte Lena Gorelik ja über die Marotten anderer Schriftsteller sprechen. Aber die mehrfach auszeichnete Autorin hatte soviel über sich selbst und ihr Leben zu erzählen, dass die Eigenheiten der anderen Autoren zu Randnotizen verkamen. Dem Unterhaltungswert des Abends hat das allerdings nicht den geringsten Abbruch getan - dafür sind Goreliks Marotten, ihre verträumte Weltfremdheit, ihre Art, urplötzlich von einem Thema zum nächsten zu springen und dann doch immer wieder zurückzutreten um sich selbst zu betrachten, viel zu charmant. Außerdem bekamen die etwa 60 Besucher in der Stadtbibliothek so die Gelegenheit, einen authentischen Blick in das Innenleben einer Autorin zu werfen. Denn sich zu verstellen gehört genauso wenig zu Goreliks Stärken wie die Unter- und Übertreibung.

Dass der Abend so laufen würde, machte Gorelik gleich zu Beginn deutlich. "Ich habe diese Veranstaltung schon einmal gemacht und es dabei nie geschafft zu erzählen, was ich eigentlich wollte, weil ich den Abend offen gestaltet habe und auf Fragen eingegangen bin und so mache ich das heute wieder. Aber ich versuche auch, etwas von dem zu sagen, was ich vorbereitet habe", begann sie ihr zweites Vorwort, nachdem sie zuvor erklärt hatte, warum sie zu spät gekommen war. Und schon erzählt sie von ihrer Kindheit, davon wie viel sie gelesen hat und dass ihre Mutter sie regelrecht an die frische Luft gezwungen hat - wo sie sich dann auf dem Spielplatz mit einem Buch zu den alten Frauen gesetzt und weiter gelesen habe. Rührend auch die Geschichte, wie sie als Schülerin mehrere Ersatzgeschwister erdacht hat, um ihre ständigen Verspätungen zu erklären. Und die Lüge sei sogar gut gegangen - bis zu dem Tag, an dem die Lehrerin zufällig Goreliks Mutter begegnet sei und über die vielen Geschwister reden wollte.

Aber es war nicht nur Unterhaltsames, was Gorelik zu erzählen hatte. So machte sie deutlich, dass sie sich beim Schreiben stets auf einem Grat zwischen Zwang und der Gefahr, in komplette Panik zu verfallen, befindet. Nur um gleich danach eine ihrer Marotten zu enthüllen: "Ich kann nur jeweils zur vollen Stunde anfangen zu schreiben. Und wenn man kurz davor etwas anderes macht, dann ist der Punkt schnell verpasst. Und dann ist ein Tag ganz schnell vorbei". Allerdings sei das nicht ganz so tragisch wie bei Isabel Allende, die immer nur am 1. Januar mit einem Buch beginnen konnte. "Wenn die mit dem vorherigen Buch erst am 3. fertig wurde, hatte sie wirklich viel Zeit."

Aber Gorelik präsentiert nicht nur ihre eigenen und fremde Marotten, sie hat auch eine Erklärung dafür, warum so viele Schriftsteller so penetrant an bestimmten Dingen festhalten. "Das ist die Ordnung, die Schriftsteller brauchen, weil in ihrem Kopf soviel Unordnung herrscht. Man lebt ja nur zum Teil in der Realität und zu einem anderen Teil in der Geschichte, mit der man sich gerade beschäftigt". Eine Schriftstellerkollegin habe es Gorelik gegenüber einmal so ausgedrückt: "Wenn ich schreibe, weiß ich nicht, was auf der nächsten Seite passieren wird. Da will ich mir wenigstens sicher sein, dass mein Stift immer genau gleich ist". Die Frage, die Gorelik aufgeworfen hatte, ob denn zuerst die Marotte oder zuerst die Schreiberei war, konnte sie an diesem Abend allerdings auch nicht beantworten.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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