Fürstenfeldbruck:Unschuldigen zehn Monate in U-Haft gebracht

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Jugendschöffengericht verurteilt 22-Jährigen wegen Falschaussage zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Zehn Monate saß Ochuko B. (Name geändert) unschuldig in Untersuchungshaft. Verantwortlich für das Schicksal des 26 Jahre alten Nigerianers war die Falschaussage eines Afghanen, der seinen Mitbewohner aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Fürstenfeldbruck des schweren Raubes beschuldigt hatte. Für diesen 22-Jährigen hat sein Verhalten nun gravierende Folgen: Laut einem Urteil des Jugendschöffengerichts Fürstenfeldbruck muss er wegen falscher Verdächtigung, Freiheitsberaubung und uneidlicher Falschaussage für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis.

Im September 2016 hatte der Afghane, offenbar ohne jeglichen Anlass, den Nigerianer bei der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck beschuldigt, ihn zusammen mit ein paar Unbekannten ausgeraubt zu haben. Sein Mitbewohner habe ihn festgehalten und Geld und Wertsachen verlangt, während ihn die anderen mit einem Messer verletzten. Der Nigerianer war daraufhin bis zu seiner Gerichtsverhandlung im Juli des folgenden Jahres in Untersuchungshaft gekommen. In dem Prozess vor dem Landgericht München II bekräftigte der 22-Jährige seine Vorwürfe. Doch ein medizinischer Gutachter entlastete den damals Angeklagten, so dass dieser freigesprochen und aus der Haft entlassen wurde.

In der Verhandlung am Dienstag, die auf den Tag genau ein Jahr danach in Fürstenfeldbruck vor dem Jugendschöffengericht stattfindet, lässt der Angeklagte seinen Pflichtverteidiger ein Geständnis ablegen, doch keine weiteren Angaben machen. "Wir können es nicht nachvollziehen. Es wäre schön, wenn Sie uns erklären würden, warum Sie ihn beschuldigt haben", versucht es die Vorsitzende Anna Kappenschneider. Aber der Angeklagte bleibt stumm.

Der Nigerianer kann dem Gericht auch keine Erklärung für die falsche Verdächtigung liefern. "Es hieß, wenn man mit ihm Probleme hat, würde man ins Gefängnis kommen", sagte er zwar. Doch persönlich habe er keinen Zwist mit ihm gehabt, nicht einmal eine nähere Bekanntschaft. Wie der 26-Jährige berichtet, hatte das knappe Jahr Untersuchungshaft schlimme Folgen für seine Familie: Seine krebskranke Frau wurde nach Italien ausgewiesen, verlor ihr ungeborenes Kind und ihr gemeinsames Baby starb. Aktuell liege seine Frau in einem italienischen Krankenhaus, er selbst arbeite und lebe in Freising. Entschuldigt habe sich der Angeklagte nicht bei ihm, erklärt er auf Nachfrage. Im Gegenteil habe der sogar sein Handy eingefordert, als er ihm nach der Haft in einer Flüchtlingsunterkunft wieder begegnet war.

Ein entscheidender Punkt in dem Prozess ist die Frage nach dem Alter des Angeklagten. Die Antwort entscheidet darüber, ob er nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. Im Ausländeramt liegen vier Geburtsdaten vor: 1. Januar 1996 und 1997, 11. Dezember 1997 sowie, in einem afghanischen Reisepass, 1. Mai 1996. Da der Pass ein amtliches Dokument ist, wird dieses Geburtsdatum als echt eingestuft. Für die Verurteilung heißt das: die Aussage bei der Polizei hat der Angeklagte als Heranwachsender gemacht, die vor Gericht als Erwachsener.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe und der Verteidiger dringen auf Anwendung des Jugendstrafrechts. Der Angeklagte kümmere sich seit dem Tod des Vaters vor zehn Jahren um seine Mutter und den kranken Bruder. Das und die traumatischen Fluchterlebnis hätten zu Reifeverzögerungen geführt. Der Anwalt beantragt, gemäß der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe, eine Jugendstrafe mit Bewährung und zwei Wochen sogenannten Warnschussarrest zu verhängen.

Die Richter sahen es indes genauso wie der Staatsanwalt. "Meines Erachtens stellt sich die Situation so dar, dass der Angeklagte das Familienoberhaupt ist", sagte er. "Der Staat muss sich darauf verlassen können, dass Zeugen die richtigen Angaben machen." Die Richter folgten seinem Antrag auf eine zweieinhalbjährige Haftstrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht. "Dass es den Tod eines Kindes gab, ist dem Angeklagten zuzurechnen", betonte die Vorsitzende noch.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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