Fürstenfeldbruck:Unerwünschte Familien

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Bei einem Inklusionsprojekt von Donum Vitae in der Kreisstadt stellt sich heraus: Menschen mit geistiger Behinderung haben in Bayern keine Möglichkeit, mit ihren Kindern zusammenzuleben

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Das Resümee zur Inklusion in Bayern ist ernüchternd: Für Menschen mit geistiger Behinderung, die auf Betreuung angewiesen sind und eine Familie gründen wollen, gibt es im ganzen Freistaat keine Heimplätze. "Da gibt es noch ein Defizit in Bayern", stellt die Leiterin der staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen Donum Vitae, Sylvia Pohl, fest. Sie und ihre drei Kolleginnen sind vom Bundesverband Donum Vitae als eine von acht Modellberatungsstellen in Deutschland für das Inklusionsprojekt "Ich will auch heiraten" ausgewählt worden. Die Beraterinnen aus Bruck sind die einzigen in Bayern, die drei Jahre lang Sexualerziehung für Menschen mit geistiger Behinderung anbieten. Das Angebot wollen sie auch nach dem Auslaufen des Projekts zum Jahresende beibehalten.

"Ich will auch heiraten" ist 2013 gestartet. Neben sieben Beratungsstellen im Bundesgebiet gibt es ergänzend auch eine Online-Beratungsstelle. Ziel des vom Familienministerium geförderten Projekts ist es, das Beratungsangebot von Donum Vitae hinsichtlich Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt, Sexualaufklärung, Eheschließung und Familiengründung sowie finanziellen Hilfen auf die Bedürfnisse von Menschen mit geistigen Einschränkungen auszuweiten. Dadurch soll die Inklusion, also die Gleichbehandlung und Akzeptanz aller Menschen, gefördert werden. Denn auch Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen haben nach der oft zitierten UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf Sexualität. In der Realität aber wird die laut der Donum-Vitae-Leiterin häufig dadurch unterbunden, dass Aufklärung nicht passiert. Die Folge: Die sexuelle Entwicklung und Erfahrung wird so verhindert.

"Früher wurden diese Personen zwangssterilisiert, das ist noch gar nicht so lange her", erinnert Pohl an die Naziherrschaft. Doch auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es in Sachen Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung einiges zu verbessern, wie die Sozialpädagogin und ihre Kollegin während der vergangenen knapp drei Jahre bemerkt haben. Für Menschen mit geistiger Behinderung ist im Freistaat nach wie vor nicht vorgesehen, dass sie eine Familie gründen. "Es gibt in ganz Bayern keine Einrichtung, wo ein Paar, Vater, Mutter und Kind, zusammen leben kann", unterstreicht die Leiterin. Und berichtet von einer jungen Frau, die im November ein Kind erwartet. Da es nirgends eine Möglichkeit für sie und das Kind - geschweige denn den Vater - gebe, gemeinsam in einer Einrichtung zu leben, werde es wohl darauf hinauslaufen, dass der Frau ihr Kind weggenommen werde, wie Pohls Stellvertreterin Maria Stühler-Weiß ergänzt. Pohls Fazit nach knapp drei Jahren "Ich will auch heiraten" ist deshalb ambivalent. Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung seien sehr wichtig, doch "die praktische Umsetzung scheitert, weil es keine Einrichtungen gibt, gerade in Bayern". Diese Erkenntnis wird sie auch an das Ministerium weitergeben, in der Hoffnung auf Verbesserungen.

Wie Pohl bei dem Pressegespräch in den Räumen von Donum Vitae am Sulzbogen in Fürstenfeldbruck erläutert, haben sie und ihre Kolleginnen in Fortbildungen für das Projekt unter anderem gelernt, sich in leichter Sprache auszudrücken. "Ich muss langsam sprechen", zählt sie einen weiteren Punkt auf. Neben verbalen und inhaltlichen Schranken habe man während der vergangenen knapp drei Jahre auch andere Hindernisse erkannt, wie Stühler-Weiß berichtet. "Wir haben gemerkt, wir müssen auf die Behinderten zugehen." Nur mit Flyern auf das neue Angebot hinzuweisen, reiche bei weitem nicht aus.

Also hat Donum Vitae seine Kooperation mit dem Förderzentrum Cäcilienschule ausgeweitet. Zudem geht ein Berater-Paar - den männlichen Part hat Donum Vitae von den Augsburger Kollegen geliehen - in die Behinderten-Werkstatt der Caritas. Des weiteren kommen nun regelmäßig etwa 15 Frauen, die bei der Kinderhilfe wohnen und zwischen 25 und 50 Jahre alt sind, zu den Beraterinnen, um alles über Sexualität zu erfahren. In Landsberg, wo Donum Vitae wie auch in Dachau und Starnberg mit einer Außenstelle vertreten ist, beteiligen sich die Beraterinnen bei den Jugendfilmtagen im Dezember mit dem Film "Be my Baby". Darin erwartet eine junge Frau mit Downsyndrom ein Kind.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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